Eurokrise: “Die Überlebenschancen für die Eurozone sind extrem gering” – Gespräch mit Heiner Flassbeck für den FREITAG jetzt auch online

Heiner Flassbeck

Das am Donnerstag dieser Woche in der Druckausgabe des FREITAG erschienene Gespräch mit Heiner Flassbeck ist jetzt auch zu lesen.

„Die Überlebenschancen für die Eurozone sind extrem gering“

Der Chefökonom der UNCTAD, Heiner Flassbeck, über den Kern der Eurokrise, Denkfehler und Lösungen

Der Freitag: Herr Flassbeck, vom derzeitigen Finanzminister, Wolfgang Schäuble, CDU, hört man nicht allzu viel – umso mehr von seinem Vorgänger, Peer Steinbrück, SPD. Der hat gerade wieder verlauten lassen, ich zitiere: Der Euro befindet sich nicht in einer Krise. Was wir sehen, ist eine Krise von Mitgliedsstaaten des Euro. Ist das so?

Heiner Flassbeck: Das ist falsch – Punkt, nein, Ausrufezeichen! Der Euro befindet sich in einer schweren Systemkrise, weil wir – was Herr Schäuble und Herr Steinbrück nicht zur Kenntnis nehmen wollen – ein massives Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Deutschland und den südeuropäischen Ländern haben. Deutschland ist an dieser Krise unmittelbar beteiligt, weil es in den vergangenen zehn Jahren das gemeinsam beschlossene Inflationsziel nicht annähernd erreicht, sondern unterboten hat.

Was ist der Kern der Eurokrise?

Der Kern der Eurokrise ist leicht zu erklären. In der Eurozone haben sich am Ende 17 Länder auf ein gemeinsames Inflationsziel von zwei Prozent geeinigt. Das aber hat eine Reihe von Ländern nicht eingehalten. Einige sind darunter geblieben, wie Deutschland. Südeuropa ist darüber geblieben. Frankreich hat es eingehalten, als einziges Land in ganz Europa. Das hat über zehn Jahre zu einem Auseinanderlaufen der Preise in der gemeinsamen Währungsunion geführt. Die Folge ist, dass das Land, das dauernd niedrigere Preise hat, weil es seinen Arbeitern niedrigere Löhne aufzwingt, massiv Wettbewerbsfähigkeit und Marktanteile gewinnt. Die anderen aber müssen sich verschulden, um die Güter des Wettbewerbsfähigeren zu kaufen. Das funktioniert solange, bis alle – auch der Wettbewerbsfähigste – auf der Welt der Überzeugung sind, dass die Defizite und Schulden zu hoch sind. Dann kommt es zum Eklat.

In Ihrer Funktion nehmen Sie auch an den Treffen der führenden Industriestaaten, den G 20, teil. Wie wird dort die Krise diskutiert?

In den G20 wird genau das Problem der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte diskutiert. Deutschland sitzt dort auf der Anklagebank. Dort ist allen wichtigen Beteiligten klar, dass das außenwirtschaftliche Problem das Kernproblem einer Währungsunion ist. Weil man in einer Währungsunion nicht auf- und abwerten und damit auch keine Wettbewerbslücken ausgleichen kann.

Warum tut sich die deutsche Politik – parteiübergreifend – so schwer, die von Ihnen aufgezeigten Zusammenhänge ins Zentrum zu rücken?

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Ein Grund ist, dass bestimmte Parteien immer im Staat den Schuldigen suchen und niemals im Markt. Ein anderer Grund ist, dass viele der heute Herrschenden am deutschen Lohndumping beteiligt waren. Da es Menschen immer schwer fällt, zuzugeben, dass sie etwas falsch gemacht haben, wird ein Schuldiger gesucht. Der Versuch, Griechenland und andere Südeuropäer als Schuldige auszumachen, lenkt aber nur vom eigentlichen Problem ab.

Ich zitiere jetzt noch einmal eine einflussreiche Stimme der deutschen Ökonomenzunft, die Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro. Sie spricht zwei Urängste der Deutschen an – Schulden und Inflation: „Aber es wird lange dauern, bis die Schulden abgebaut und sich Arbeitsmärkte und strukturschwache Branchen angepasst haben. Deutschland hat das im letzten Jahrzehnt vorgemacht – mit Einschnitten in den Sozialsystemen und Konzernen.“ Und: „Geld drucken, wie es die Notenbanken in den USA und Großbritannien machen, führt letztlich zu Inflation.“

Die deutsche Ökonomenzunft hat sich komplett abgekoppelt von der internationalen Diskussion. Dass es in Deutschland nicht gelingt, eine einfache, wirklich primitive Weisheit herüberzubringen, dass ein Staat nicht sparen kann, wie ein privater Haushalt, ist bedauerlich. Und Frau di Mauro liegt nun vollkommen falsch, wenn sie glaubt, alle könnten das gleiche wie Deutschland machen. Sie hat einfach nicht begriffen, dass Deutschland nur unter den besonderen Bedingungen – der Währungsunion und der Tatsache, dass sich die anderen Länder über zehn Jahre lang nicht gegen das deutsche Lohndumping gewehrt haben – diese Exporterfolge erzielen konnte. Aber selbst so müsste sie zur Kenntnis nehmen, dass das deutsche Wachstum in den vergangenen zehn Jahren deutlich schwächer war als in fast allen anderen Ländern. Insofern war das ja nicht einmal eine Erfolgsgeschichte, sondern es war eine Geschichte der Einseitigkeit, die jetzt dazu geführt hat, dass auch der einseitige Exporterfolg vorbei ist, weil die anderen, sozusagen die Gegner im Wettkampf der Nationen, nun pleite sind und ihre Schulden nicht zurückbezahlen können. In dieser Situation droht Deflation und nicht Inflation.

Was also muss die Politik unternehmen, ist der Euro noch zu retten?

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Erfolgreich kann man auf dieser Welt immer nur mit Ursachentherapie sein. Und die Ursache ist eindeutig das Auseinanderlaufen der Inflationsraten und der ihr zugrundeliegenden Lohnstückkostenentwicklung. Also muss man hier ansetzen. Dafür braucht man einen langen Atem. Das muss man über zehn, fünfzehn Jahre planen. Man muss auch den Bevölkerungen erklären, was in Europa passiert ist. Das tut man bisher nicht. In Deutschland müssen dann folglich die Löhne über zehn, fünfzehn Jahre etwas stärker steigen als in den anderen Ländern und deutlich stärker als in der Vergangenheit. Das ist keine schmerzhafte Therapie für Deutschland, sondern eine sehr gute, weil die Einkommen stiegen und der private Konsum, der am Boden liegt, sich erholen würde. Es wäre also nicht schwer, diese Therapie in Deutschland zu verkaufen. Das Problem dabei ist, dass wir einen sehr langen Zeitraum überbrücken müssen, bis die anderen Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedergewonnen haben.

Alles immer unter der Voraussetzung, dass man den Euro retten will. Um diesen Zeitraum zu überbrücken, braucht man schlagkräftige Instrumente zur Finanzierung. Und da ist das beste Instrument eindeutig ein Eurobond, der jetzt ja zu extrem niedrigen Zinsen aufgenommen werden könnte, dessen Zins auch unter dem Zins liegen würde, den Deutschland noch vor zwei, drei Jahren bezahlen musste. Ganz kurzfristig, um die Spekulation aus den Märkten zu nehmen, muss die EZB einschreiten und massiv intervenieren, um zu verhindern, dass die Zinsen auf Staatsanleihen immer weiter steigen. Aber all das wird in Deutschland aus ideologischen Gründen blockiert. Selbst aber, wenn die deutsche Regierung jetzt aufgrund des wachsenden Drucks aus Brüssel bei der Frage der Eurobonds einlenkt: Solange das Wettbewerbsproblem nicht versucht wird zu lösen, wird es keine nachhaltige Stabilisierung geben. Insofern sind die Überlebenschancen für die Eurozone extrem gering.


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