Die Herrschaft der Angebotsökonomen

Ob in der Politik, den Wirtschaftswissenschaften oder den Medien, wo man auch hinschaut und hinhört dominiert die Angebotspolitik. Nachfrageorientierte Ökonomen hatten, wenn überhaupt, nur eine kurze Konjunktur, als die Politik eben einmal gezwungen war, nachfrageorientiert zu handeln. Mit dem Auslaufen der  Konjunkturprogramme und anderer staatlicher Feuerwehreinsätze zur Stabilisierung der Nachfrage und Rettung der Finanzwirtschaft, sind auch die Ökonomen nicht länger gefragt, die jene Maßnahmen seit Jahrzehnten inhaltlich begründen und theoretisch fundieren. Der ver.di-Ökonom Dierk Hirschel äußerte sich jüngst in einem Interview ausführlich zu diesem Sachverhalt:

“Wir werden zurzeit von den bürgerlichen Medien deutlich weniger nachgefragt. In der Finanzkrise 2007 waren wir Akteur. Wir wurden für ein erfolgreiches Krisenmanagement gebraucht. Wir haben die Kurzarbeit verhandelt. Wir haben maßgeblich Einfluss genommen auf die Ausgestaltung der Konjunkturprogramme. Gegenwärtig aber stehen wir am Rand. Unsere Kolleginnen und Kollegen werden zwar von der Krise unmittelbar betroffen sein, aber wir sind aktuell nicht am Krisenmanagement beteiligt. Die Kanzlerin spricht zwar mit den Gewerkschaften. Aber die Gewerkschaften haben keinen direkten Einfluss auf die Regierungspolitik. Ich vermute, dass ist auch einer der Gründe dafür, warum die Gewerkschaften zurzeit in den Medien nicht so präsent sind, wie sie es eigentlich sein sollten.”

Was angebots- und nachfrageorientierte Wirtschaftswissenschaft und Politik bedeuten

Zum allgemeinen Verständnis: Die angebotsorientierte Wirtschaftswissenschaft und Politik konzentriert sich einseitig auf die betriebs- bzw. einzelwirtschaftlichen Kosten und ist bestrebt, diese niedrig zu halten: Der Staat soll sich aus der Wirtschaft möglichst heraushalten und wenig Ressourcen für sich beanspruchen, denn das – so die Angebotsökonomen – ist günstig für die Wirtschaft, weil der Staat dann ja weniger “kostet”, also weniger Steuern und Abgaben erheben muss, um seine dann auch geringeren Ausgaben zu finanzieren. Auch die Gewerkschaften sind klein zu halten, denn sie stärken die Arbeitnehmer bei der Lohn- und Gehaltsfindung und verteuern so das Angebot an Arbeitskräften. Das Löhne und Gehälter nicht nur Kosten sind, sondern sich auch in Nachfrage umsetzen, interessiert Angebotsökonomen in der Regel nicht. Denn nach ihrer Auffassung schafft sich jedes Angebot – Arbeit, Produkte – seine Nachfrage. Es muss nur billig genug sein.


Nachfrageorientiere Ökonomen hingegen denken in Kreislaufzusammenhängen, die sich in das triviale aber dennoch sträflich vernachlässigte ökonomische Gesetz gießen lassen, dass die Ausgaben des Einen immer auch die Einnahmen des Anderen sind. Wie dies gleichermaßen allgemein wie konkret aussehen kann, hat der Ökonom Wolfgang Stützel einmal wie folgt gefasst:

“So besteht z.B. zwischen der Wirtschaftstätigkeit des Herrn Schulze und der Tätigkeit aller übrigen Mitglieder der Weltwirtschaft außer zahllosen anderen Beziehungen auch noch der primitive Zusammenhang, das stets, so oft Herr Schulze mehr verkauft und einnimmt als er selbst kauft und ausgibt, die “übrige Weltwirtschaft” im gleichen Zeitraum einen gleichgroßen Überschuss ihrer Käufe über ihre gleichzeitigen Verkäufe haben wird, da offensichtlich jeder Verkaufsakt für den Partner einen Kaufakt darstellt.”

Auch der nicht ökonomisch geschulte, aber die Tagesnachrichten verfolgende Leser wird allein aufgrund dieses Satzes evtl. ins Grübeln darüber kommen, wie Deutschland denn ernsthaft meinen kann, dauerhaft Überschüsse im Außenhandel anhäufen zu können. Muss die “übrige Weltwirtschaft”, vor allem die anderen Volkswirtschaften der Eurozone, auf die sich der Großteil der deutschen Außenhandelsbeziehungen richtet, dafür doch Defizite in Kauf nehmen. So trivial jener Zusammenhang also auch erscheinen mag, er wird nicht nur im Rahmen der Eurokrise von Deutschland schlichtweg ignoriert.

Angebotspolitik in Reinkultur

Ist es nun Programm oder mediale Tollpatschigkeit, dass der Deutschlandfunk an einem Tag gleich zwei einseitig angebotsorientiere Ökonomen ausführlich interviewt? Jedenfalls ist es exemplarisch für die Lufthoheit, die jene wirtschaftspolitische Ausrichtung auch in den Medien innehat.

Gestern früh interviewte der Deutschlandfunk den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer. Sein  ökonomisches Crédo: “Italien braucht vor allen Dingen jetzt Strukturreformen. Das bedeutet eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, eine Öffnung der vielfältigen Kartelle im Dienstleistungssektor. Monti hat – und das war durchaus richtig – Ende letzten Jahres ein weiteres Fiskal-Sparpaket auf den Weg gebracht. Aber jetzt kommt es darauf an, dass er Reformen auf der Angebotsseite der Wirtschaft durchführt, damit die Wachstumskräfte gestärkt werden.”

Das ist Angebotsökonomie in Reinkultur. Wie durch einseitige Ausgabenkürzungen “Wachstumskräfte gestärkt werden” sollen, bleibt das Geheimnis der Angebotsökonomen. Aber Ideologie hat noch nie nach Argumenten und empirischen Belegen gefragt.

Mittags dann kam der Ökonom Beert van Rosebeeke im Deutschlandfunk zu Wort. Immerhin wies der Sender darauf hin, dass Rosebeeke am Centrum für Europäische Politik in Freiburg arbeitet, “das in der Tradition der ordnungspolitischen Freiburger Schule steht.” Rosebeeks ökonomischer Glaubenssatz:

“Also die Märkte in Italien müssen dringend liberalisiert werden. Arbeitsmärkte, Gütermärkte müssen liberalisiert werden, Lohnstückkosten sind in Italien seit 1999 um 30 Prozent gestiegen, in Deutschland im gleichen Zeitraum um fünf Prozent. Die Löhne müssten eigentlich in Italien heruntergehen. Das liegt natürlich nicht nur in der Hand von Herrn Monti, da sind natürlich auch Gewerkschaften etc. gefragt. Aber das sind Maßnahmen, wo eigentlich jetzt herangegangen werden sollte.”

Auch das ist Angebotsökonomie in Reinkultur. Über die Lohnentwicklung in Deutschland verliert der “Ökonom” natürlich kein Wort. Die – außer in Deutschland – anerkannte ökonomische Regel lautet, dass die Löhne sich entsprechend der Produktivität und der Preisveränderungen entwickeln müssen. Deutschland hat diese Regel aber über Jahre nach unten durchbrochen. Das spiegelt sich ja gerade in der Lohnstückkostenentwicklung wider.

Politik könnte Schlimmeres verhindern – sie tut es aber nicht

Man muss den Ökonomen für ihre schonungslose Offenheit fast dankbar sein. Würden nachfrageorientierte Ökonomen doch einmal so eindeutig wirtschaftspolitisch Stellung beziehen. Es gibt einzelne in Deutschland, die dies tun. Vielleicht ein oder zwei, die eine breitere Öffentlichkeit erreichen! Auf der Angebotsseite aber sind es ganze Kolonnen, die in ihren ideologisch gepanzerten und in vielen Fällen aus der Wirtschaft, aber auch aus Steuergeldern finanzierten Instituten warm und sicher sitzen – den Menschen aber ihre Arbeitsplätze und dem Staat die Einnahmebasis wegderegulieren und ihnen Verzicht predigen.

Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Politik nur in größter wirtschaftlicher Not Bereitschaft zeigt, auch die nachfrageorientierte Ökonomie zum Zuge kommen zu lassen. Es steht zu befürchten, dass diese Vorgehensweise nicht immer so glimpflich ausgeht, wie zuletzt. Zu groß sind die Ungleichgewichte, die sich innerhalb der Eurozone, aber auch binnenwirtschaftlich zwischen Löhnen und Gewinnen, Privatvermögen und öffentlichen Schulden aufgebaut haben. Eine Politik, die auf einen konsequenten Ausgleich dieser Ungleichgewichte und Ungleichverteilung setzt, könnte Schlimmeres verhindern.


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