Umstellung der Arbeitslosenstatistik: Bundesregierung glaubt nicht an die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt

Anstatt die Voraussetzungen dafür zu schaffen, eine steigende Zahl von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, plant die Bundesregierung lieber, die Flüchtlinge aus der Arbeitslosenstatistik herauszurechnen (vgl. zum Beispiel hier und hier). Darin ist die deutsche Politik ja seit langem geübt: die auch in Deutschland hohe Arbeitslosigkeit schön zu färben. Seit langem nicht geübt sind die Politik und ihre Berater darin, grundlegende Zusammenhänge zu akzeptieren oder auch nur zu sehen, die eine erfolgreichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zur Voraussetzung hat. Wir haben dies des Öfteren bereits, ganz losgelöst von der Flüchtlingsfrage, thematisiert und erläutert. Damit der mit steigenden Flüchtlingszahlen einhergehende Anstieg der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) nicht zu einem Anstieg der Arbeitslosenquote führt, bedarf es aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Perspektive vor allem eines:

Die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (Erwerbstätige*Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen) muss der Zuwachsrate des potenziellen Bruttoinlandsprodukts entsprechen (Erwerbspersonen*Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen).

Um die in Deutschland bereits jetzt viel zu hohe Arbeitslosenquote zu senken, muss die Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts über der Zuwachsrate des potenziellen Bruttoinlandsprodukts liegen. Die Arbeitslosenquote liegt mit rund sechs Prozent doppelt so hoch wie der Wert, den das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Claus Köhler, als Vollbeschäftigung definiert (3%) und auch weit über dem Wert, den der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als Vollbeschäftigung begreift (4%).

Um eine höhere Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts zu erreichen, gibt es mannigfaltige Möglichkeiten. So ist der Bedarf, in die Infrastruktur zu investieren, bekanntlich groß. Wir haben dies an anderer Stelle des Öfteren aufgezeigt. Groß ist auch der Bedarf an zusätzlichem Personal in Schulen und Kindergärten und in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen, die über viele Jahre kaputt gespart worden sind. Zumindest in den Metropolen ist das Wohnungsangebot hoffnungslos hinter die Wohnungsnachfrage zurückgefallen, vor allem beim sozialen Wohnungsbau. Neue Technologien, die die Umwelt schonen und die Arbeitsproduktivität und die Produktqualität steigern, sind ein weiteres Feld, die Ausgaben zu erhöhen und damit Wachstum und Beschäftigung. Die Lohnentwicklung ist unbefriedigend. Eine Gesetzgebung, die die Rahmenbedingungen für eine verteilungsneutrale Lohnentwicklung schafft, würde das Wirtschaftswachstum erhöhen. Die Bruttolöhne und -gehälter bilden mit einem Anteil von über vierzig Prozent am nominalen Bruttoinlandsprodukt das mit Abstand größte gesamtwirtschaftliche Aggregat der Volkswirtschaft.

Die Bundesregierung aber scheint den Zusammenhang von Wachstum und Beschäftigung nicht einmal zu sehen, geschweige denn in den Mittelpunkt ihrer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zu stellen. So selbst auch der Direktor des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit (IAB), Joachim Möller (vgl. hier). Ganz anders als beispielsweise die politisch Verantwortlichen in den USA, wie wir regelmäßig aufzeigen.

Darüber hinaus ändert die Bundesregierung mit ihrer erneuten Anpassung der Arbeitslosenstatistik nichts an den realen Verhältnissen, sondern täuscht sich und die breite Öffentlichkeit über eben jene hinweg. Eine Perspektive erhalten die Flüchtlinge nur über eine Integration in den Arbeitsmarkt. Eine Perspektive erhalten aber auch erst die Millionen bereits jetzt gemeldeten Arbeitslosen nur über eine Integration in den Arbeitsmarkt. Löst die Bundesregierung das Spannungsverhältnis zwischen Arbeitsangebot (Zahl der Arbeitslosen) und Arbeitsnachfrage (gemeldete Stellen) nicht durch eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik auf, die ein entsprechend der oben vorgenommenen Erläuterungen angemessenes Wirtschaftswachstum befördert, werden die sozialen Spannungen aller Voraussicht nach weiter zunehmen. Mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen auch für die politische Entwicklung, die bereits jetzt durch eine zunehmende Radikalisierung gekennzeichnet ist.

 


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