Rekord-Exportüberschuss: Deutschland kann unmöglich Konjunkturlokomotive sein

Heute früh meldete das Statistische Bundesamt: “Jahr 2014: Exportüberschuss auf Rekordniveau“. Ein Land aber, das mehr ins Ausland verkauft, als von dort einkauft, kann niemals Konjunkturlokomotive sein. Dessen aber rühmen Politik und Medien regelmäßig Deutschland. Im Gegenteil, Deutschland ähnelt einem Wagon, der von einer Lokomotive gezogen werden muss, weil es ihm an eigenem Antrieb mangelt. Doch das ist noch nicht alles, was sich aus der Meldung herauslesen lässt.

In genau der Höhe nämlich, in der Deutschland mehr Waren ins Ausland verkauft (exportiert) als von dort eingekauft (importiert) hat, musste sich das Ausland neu verschulden. Gewiss, es wäre theoretisch möglich, dass ein Land sein Defizit im Außenhandel mit Deutschland durch einen Überschuss in der Dienstleistungsbilanz ausgleicht, zum Beispiel durch den Tourismussektor. Das aber ist in der Praxis nicht gegeben. Zu bedeutend ist der Warenhandel innerhalb der Leistungsbilanz.

Trotz der seit dem Frühjahr 2013 (!) durchaus erkennbaren Aufwärtsbewegung der Konjunktur in Deutschland, die sich zwar seit dem zweiten Quartal 2014 abgeschwächt, dann aber wieder gefangen hat, richtet die deutsche Binnenwirtschaft immer noch deutlich weniger Nachfrage auf seine Handelspartner als umgekehrt (siehe hierzu unsere monatliche Konjunktureinschätzung auf Basis der vom Ökonomen und ehemaligen Mitglied des Sachverständigenrats, Claus Köhler, entwickelten Spannungszahl und unsere monatlichen Analysen zum deutschen Außenhandel [beides erscheint im Abonnement]).

Wir haben erst vor kurzem festgestellt, dass Deutschland selbst mit dem am Boden liegenden Griechenland noch Leistungsbilanzüberschüsse realisiert hat, seine eigene Konjunktur also von Griechenland hat ziehen lassen (siehe hier). Damit musste die Gesamtverschuldung Griechenlands in genau dieser Höhe zunehmen.

Der jüngste Rekord-Exportüberschuss zeigt, dass Deutschland seiner sich selbst zugesprochenen Verantwortung in Europa und der Welt nicht gerecht wird. Wie kann Deutschland sich, wie es seit geraumer Zeit geschieht, für so genannte Hilfen an Länder wie Griechenland auf die eigene Schulter klopfen, wenn es gleichzeitig mit seinen Außenhandelsüberschüssen dafür sorgt, dass “Hilfen” überhaupt notwendig werden? Denn auch das zeigt die Meldung des Statistischen Bundesamts. Der Rekord-Exportüberschuss ist kein einmaliger Ausreißer, sondern ein Dauerzustand: “Der bisherige Höchstwert von 195,3 Milliarden Euro im Jahr 2007 wurde damit deutlich übertroffen. Im Jahr 2013 hatte der Saldo in der Außenhandelsbilanz + 195,0 Milliarden Euro betragen.” So auch die maßgebliche Grundlage für diese Rekord-Überschüsse: die nicht verteilungsneutrale Lohnentwicklung in Deutschland, die sich zum einen dämpfend auf die Preisentwicklung auswirkt, also preisliche Wettbewerbsvorteile für Deutschland herausschlägt, und die zum anderen dafür sorgt, dass Deutschland relativ wenig Nachfrage auf seine Handelspartner richtet (siehe hierzu auch unsere quartalsmäßigen Analysen zur Ausschöpfung des Verteilungsspielraums [erscheint im Abonnement]). Dieser Dauerzustand verstößt, darauf haben wir vor längerer Zeit bereits in einem anderen Zusammenhang hingewiesen, gegen das Stabilitätsgesetz aus dem Jahr 1967 (siehe hier). Dieses Gesetz ist formal immer noch gültig. Die deutsche Wirtschaftspolitik aber hält sich seit langem nicht mehr ans Gesetz. Genauso verhält es sich auch im europäischen Rahmen, indem Deutschland über viele Jahre das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von “unter, aber nahe zwei Prozent” unterschritten und bis heute keine Anstrengungen unternommen hat, dass davon ausgehende, unfaire Wettbewerbs- und Nachfragegefälle, auszugleichen. Im Gegenteil, wie die heutige Meldung des Statistischen Bundesamtes unterstreicht.

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