Raumschiff Bundesagentur – Ein Kommentar zur Manipulation der Arbeitslosenstatistik durch die Bundesagentur für Arbeit von Inge Hannemann

Inge Hannemann Foto: Frank Schwarz

Da ist er wieder – der Wirbel um und mit der Bundesagentur für Arbeit. Ein Wirbel, welcher durchaus an den Manipulations-Skandal 2001 / 2002 um den Ex-Chef der damaligen Bundesanstalt für Arbeit Jagoda erinnert und 2002 schlussendlich seinen Rücktritt bedeutete. Der einzige Unterschied: Damals gab es noch nicht die Agenda 2010, die jedoch kurze Zeit darauf unter der Regierung Schröder 2002 unter dem Namen Hartz-Kommission ins Leben gerufen wurde.

Der Spiegel wirft in seinem Artikel “Mit allen Mitteln” vom 24. Juni 2013 der Bundesagentur für Arbeit Manipulation in ihrer Vermittlungs-Statistik vor. Er stützt sich dabei auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes von Ende 2012. Demnach werden vermehrt Arbeitslose intensiver betreut und schneller vermittelt, die intern als “Sahne” betitelt werden: Arbeitslose, die als marktnah bezeichnet werden, und bei denen man sich sicher ist, diese innerhalb von sechs Monaten erfolgreich in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit zu vermitteln. Vermittlungshemmnisse, wie Alter, Erkrankungen oder ungelernt, sind dabei kaum zu finden.

Hieroglyphen für Menschen

Heute gibt es die Agenda 2010, die Entwicklungsperspektive 2020, die BA 2020, die Internen ganzheitlichen Integrationsleistungen im SGB III (inga), die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels (IFlaS), die Fachkräfte-Perspektive 2025 und viele weitere Hieroglyphen für Menschen, die sich nicht täglich mit der Sprache einer der größten öffentlichen Behörden in unserem Land auseinandersetzen müssen. Es klingt, wie aus einer fremden Sphäre, die umso undurchsichtiger erscheint, je größer und älter sie wird. Im Grunde genommen auch nicht wirklich wichtig. Immerhin klingt es zukunftsweisend und neu. Neue Besen kehren schließlich gut. Neue Arbeitslose, im Jargon der Bundesagentur für Arbeit, sind nicht so aufwendig und bringen die Zahlen.

Und so funktioniert´s

Neue junge Menschen, gerade der Schule entschlüpft, werden bereits im Vorfeld eingeladen, im System aktiviert und so dem Ausbildungsmarkt zugeführt. Ein einfaches System: Die Berufsberatung wandert von Schule zu Schule, erläutert das Berufsinformationszentrum, die Möglichkeit eines Wissenstestes oder erwähnt beiläufig die Möglichkeit zur persönlichen Beratung vor Ort.

Just in diesem Moment wird der junge Mensch im internen System Verbis registriert und aktiviert. Er gilt, sofern er die Schule abgeschlossen hat, als Ratsuchend oder, sofern seine Eltern Arbeitslosengeld II beziehen, als arbeitssuchend oder arbeitslos. Ob dieser junge Mensch bereits eine Ausbildung in Aussicht hat, interessiert dabei zunächst nicht. Das wird erst interessant, wenn er diese beginnt. Das System zählt nun eine erfolgreiche Vermittlung als “eingestellt” und bewertet diese mit acht Punkten. Der Run auf die Punkte in der Führungsebene beginnt.

Nur vordergründig plausibel und unterstützend

Die “kleine” Arbeitsvermittlung weiß fast nichts von den Bewertungen und Gewichtungen. Sie hört nur in den Teambesprechungen von der Gesamtanzahl der Vermittlungen Monat für Monat, Woche für Woche oder wird darauf hingewiesen, die Integration zu steigern.

Das zeigt sich ebenso in den Zielvereinbarungen für 2013 der Bundesagentur für Arbeit. 2012 nannte sich der schnelle Wurf der Arbeitslosen auf den Arbeitsmarkt “Integrationsgrad Job-to-Job” und ergab eine Punkteprämie von 20. 2013 änderte sich diese Bezeichnung in “Vermeidungsquote Alo” (Alo=Arbeitslos) und wird mit 17 Punkten prämiert. Ein Kerngeschäft zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit, das zwangsläufig dorthin führen muss, wo die Agenturen für Arbeit derzeit stehen. Die Rosinen werden heraus gepickt, mit Qualifizierungen mobilisiert, um so Hartz IV zu vermeiden.

All das klingt vordergründig plausibel und unterstützend. Schließlich wurde die Bewertung der Integrationsquote zu 2013 in den Agenturen für Arbeit um vier Punkte erhöht. Vorstand Weise (BA) äußerte sich im Spiegel Interview vom 24. Juni 2013 dazu, dass die BA darauf achte, dass die Menschen in Arbeit bleiben, und es nicht nur um die Integrationszahl ginge. Einsiedler, Hauptpersonalrat der BA, kontert in seinem Diskussionspapier vom Oktober 2012, dass Vermittlungsvorschläge mehr Masse statt Klasse und der Erfolg dem Konto der Leiharbeit zuzuschreiben seien. Es ist keine Seltenheit, dass Erwerbslose innerhalb von sechs Monaten bei drei oder mehr Zeitarbeitsunternehmen kurzfristig beschäftigt sind. Nach sieben Tagen gibt es dann einen Smiley für das Vermittlungsteam, das damit zum “Team des Monats” aufsteigt.

System nutzt allein Zeit-, Leiharbeit und Vermittlungsteam

Zurück bleibt auf der anderen Seite ein Erwerbsloser, der vom geforderten individuellen Kundennutzen und der Nachhaltigkeit durch Einsiedler nicht profitiert. Alleinig die Zeit- oder Leiharbeit und das Vermittlungsteam in den Agenturen für Arbeit haben einen Nutzen. Lohnzuschüsse für die Zeit- und Leiharbeitsunternehmen subventionieren den Niedriglohnsektor, die Unternehmen partizipieren und das Vermittlungsteam wird gelobt. Zielgrade erreicht.

Der BA-Vorstand erwähnt in der internen Mail an die Mitarbeiter vom 23. Juni 2013, dass der Mensch und seine Anliegen im Mittelpunkt stehe. Nur einen Satz über die Menschen an die Mitarbeiter, jedoch eine Seite voller Tiraden über Zahlen, Zielsteuerung, Leistungs-Vergleiche und der Zustimmung, dass die BA eine lernende Organisation sei.

Weise spricht in seiner Stellungnahme zum Manipulationsvorwurf davon, dass sie für Menschen arbeiten und nicht für Zahlen. Das erinnert an McCoys ärztliche Ratschläge im Raumschiff Enterprise: “Wir sind keine Computer, sondern Menschen!”

Aber vielleicht mag das alles auch nur aus einem Irrtum bestehen, in dem rund 160 000 vernetzte Computer der Bundesagentur für Arbeit einem Troyaner aufgesessen sind. Der fertige Bundesgerichtshof-Bericht wird zum Herbst die komplette Wahrheit aufzeigen. Verlauf bleibt abzuwarten.

Inge Hannemann ist als Arbeitsvermittlerin für arbeitsuchende Menschen in einem Jobcenter tätig. Seit rund 15 Jahren begleitet sie die Struktur der Agentur für Arbeit und seit der Einführung der Arbeitsmarktreform 2005 die Entwicklung der Jobcenter. In ihrer Freizeit betreibt sie ihre eigene Internetseite: www.ingehannemann.de.


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