Aktuelle Nachrichten und Hintergrund zur Eurokrise: Chef von Euro-Rettungsschirm verwechselt Ursache und Wirkung – und erweist sich als zynischer Vollzugsbeamter

Diese Meldung sendete der Deutschlandfunk heute früh in seinen Nachrichten:

“Samstag, 06. Oktober 2012 07:00 Uhr

Chef von Euro-Rettungsschirm sorgt sich um Reformbereitschaft

Der Chef des dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM, Regling, hat die Staaten der Euro-Zone zu weiteren Anstrengungen ermahnt. Seine größte Sorge sei, dass einige Krisenländer nicht die politische Kraft hätten, den schmerzhaften, aber wirksamen Reformkurs bis zum Ende durchzuhalten, sagte Regling der “Rheinischen Post”. Das wäre eine Katastrophe. Zugleich betonte er, die Krisenstrategie wirke besser als weithin wahrgenommen werde. Mehr als die Hälfte des Weges bei nationalen Anpassungslasten sei geschafft. Die Unterschiede zwischen den Eurostaaten bei den Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten verringere sich seit zwei Jahren und die Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Mitgliedsländer steige.”

Klaus Regling interessiert nicht die humane Katastrophe, die der “Reformkurs” in den betroffenen Ländern ausgelöst hat; er dreht den Spieß um: Ein Nachlassen beim Anziehen der Daumenschrauben – “den schmerzhaften, aber wirksamen Reformkurs bis zum Ende durchzuhalten” – “wäre eine Katastrophe”, so Regling.


Um diesen kalten Zyniker zu verstehen, hilft es evtl. einen Blick in seine Vita zu werfen: Reglings berufliche Karriere begann beim Internationalen Währungsfonds in Washington (IWF), wo er später, in den 1980er/1990er Jahren, u.a. in leitender Stellung mit für die marktradikalen  “Strukturanpassungsprogramme” des IWF in afrikanischen Staaten zuständig war. Auch jene Programme zielten grundsätzlich auf die Abkehr staatlicher Eingriffe und die breite Freigabe der Binnen- und Außenwirtschaft an marktwirtschaftliche Preisbildung – deren Voraussetzungen in der Regel jedoch nicht gegeben waren. Die flächendeckende Umsetzung dieser Programme in Afrika südlich der Sahara kann bis heute keine Erfolge hinsichtlich eines durchgreifenden Strukturwandels von Agrar- und Rohstoffökonomien hin zu Volkswirtschaften mit einer industriellen, wohlstandssichernden Basis aufweisen. Damit steht deren Entwicklung in krassem Gegensatz zu den Industrialisierungserfolgen asiatischer Staaten, die sich ganz entgegen den Rezepten der Weltbank für Afrika südlich der Sahara entwickelt haben (vgl. hierzu zum Beispiel: Robert Wade, Governing the market). In ihrem jüngsten Bericht über Afrika aus dem Oktober 2012 hält die Weltbank abschließend fest:

Africa’s growth has largely followed commodity prices, and African exports are highly concentrated in primary commodities. Manufacturing’s share of GDP is the same as in the 1970s. With the exception of Mauritius, no African country has achieved structural transformation.

(“Das Wirtschaftswachstum Afrikas ist weitgehend den Rohstoffpreisen gefolgt, und die Exporte sind sehr stark durch Primärgüter bestimmt. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt ist immer noch der gleiche wie in den 1970er Jahren. Mit der Ausnahme von Mauritius, hat kein afrikanisches Land eine Strukturwandel erreicht.”)

Ein Blick auf die langfristige Entwicklung des Exportanteils dieser Region am Welthandel zeigt, dass Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika) bis heute noch nicht wieder das Niveau zu Beginn der 1980er Jahre, der Zeit, in der die Strukturanpassungsprogramme durchgesetzt wurden, erreicht hat.

Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika), Entwicklung des Anteils der Exporte am Welthandel, 1948 bis 2011 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Nach dieser Station beim IWF wurde Regling von Theo Waigel und Jürgen Stark – zuletzt wegen der Rettungsmaßnahmen für Griechenland als Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank zurückgetreten! – ins Finanzministerium geholt und “war dort maßgeblich am Entwurf des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes beteiligt.” Schließlich war er dort “einer der Schlüsselfiguren bei den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht.

Eine weitere Karrierestation von Regling, man höre und staune: Von 1998 an arbeitete er “zwei Jahre lang als Geschäftsführender Direktor der ‘Moore Capital Strategy Group’ in London, einen der führenden amerikanischen Hedgefonds.

Und: “Von Neujahr bis Mitte Juni 2010 war Regling Direktor des Hedgefonds Winton Futures Fund Ltd. Derzeit ist er Vorsitzender von KR Economics, einer von ihm im September 2009 gegründeten Beratungsfirma in Brüssel. Er beriet unter anderem Singapur bei einem finanziellen Engagement im Euro-Raum.

Die ganze Laufbahn Reglings ist ein Zeugnis für eine Vorstellung von Wirtschafts- und Finanzpolitik, die hauptsächlich darauf angelegt ist, den Staat aus dem Wirtschaftsprozess herauszuhalten. Gleichzeitig deuten seine Tätigkeiten für Hedgefonds und privatwirtschaftliche “Forschungsinstitute” wie das IZA auf Interessenskonflikte hin; es ist schon befremdlich, dass ein Beamter in seiner Stellung solche Tätigkeiten überhaupt ausüben darf.

Dass Regling keinen Blick und kein Problembewusstein für die ökonomischen und sozialen Folgen der Ausgabenkürzungen in den Krisenländern hat, verwundert vor diesem Hintergrund nicht.

In dieses Bild passen auch diese Ausführungen Reglings:

“Zugleich betonte er, die Krisenstrategie wirke besser als weithin wahrgenommen werde. Mehr als die Hälfte des Weges bei nationalen Anpassungslasten sei geschafft. Die Unterschiede zwischen den Eurostaaten bei den Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten verringere sich seit zwei Jahren und die Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Mitgliedsländer steige.“

Es ist einfach nur zynisch und zeugt darüber hinaus von volkswirtschaftlicher Unkenntnis, einen einseitig über die drastischen Ausgabensenkungen in den Krisenländern erzielten Ausgleich zwischen den Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten innerhalb der Eurozone als Erfolg zu bewerten und daraus einen Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Mitgliedsländer herauszulesen: Die Leistungsbilanzdefizite in den Krisenländern haben sich vor allem wegen des drastischen Rückgangs der Einfuhren verringert, der auf den durch die Ausgabenkürzungen hervorgerufenen Einbruch der Binnenwirtschaft zurückzuführen ist (vgl. hierzu: Aktuelle griechische Zahlen zum Außenhandel zeigen tiefen Einbruch der Wirtschaft); wegen dieser reduzierten Wirtschaftsleistung und den damit verbundenen Steuerausfällen haben sich auch die Staatshaushalte bis heute nicht erholt; die Massenarbeitslosigkeit und rückläufige Ausgaben in der Gesamtwirtschaft sind wiederum keine Grundlage für nachhaltige Wettbewerbssteigerungen; das Gegenteil ist der Fall.

Die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen, die technischen Fortschritt, neue, effizientere Produktionsprozesse und Produktinnovationen versprechen bzw. ausdrücken, sprechen dann auch eine eindeutige Sprache: Sie sind in Griechenland, Portugal und Spanien eingebrochen und ihr Niveau liegt weit unter dem zu Beginn der Währungsunion. Kein ernst zu nehmender Ökonom kann hieraus einen Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit herauslesen, nur ein auf niedrige Löhne trainierter Volkswirt wie Regling. Er übersieht dabei aber, dass der Lohn als Kostenfaktor immer im Zusammenhang mit der Kapitalausstattung und der Produktivität gesehen werden muss. Verliert eine Volkswirtschaft oder auch ein Betrieb bei der Kapitalausstattung und der Produktivität, dann kann die Bedeutung des Lohns als Kostenfaktor zunehmen, obwohl der Geldlohn oder die Lohnsumme stark zurückgeht, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt dann trotz fallender Löhne.

Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen in Griechenland und Portugal, 2000 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen in Deutschland, Spanien und Frankreich, 2000 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Was Regling schließlich ebenfalls außen vor lässt: Die “nationalen Anpassungslasten” werden allein von den Krisenländern getragen. Deutschland aber, das das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank fortlaufend unterschritten und darüber Wettbewerbsvorteile und Leistungsbilanzüberschüsse aufgebaut hat, darf weitermachen wie bisher und diktiert damit auch weiterhin die Wettbewerbsbedingungen in der Eurozone; deren Grundlage aber ist Sozialabbau und soziale und ökonomische Ungleichheit und nicht das Gemeinwohl.

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