Ich stelle mir vor, ich habe für diesen Krieg gestimmt (23.02.2010)

„Nach dem Tod zahlreicher Zivilisten durch einen Luftangriff in Afghanistan hat sich der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe ISAF, McChrystal, bei der Bevölkerung des Landes entschuldigt. Er sei zutiefst betrübt über den tragischen Verlust unschuldigen Lebens, erklärte McChrystal. Um zu verhindern, dass so etwas noch einmal passiere, habe er eine gründliche Untersuchung des Vorfalls in Gang gesetzt.“  So berichtete der Deutschlandfunk am 23. Februar in den 8-Uhr-Nachrichten.

Eines muss klar sein: Bundestagsabgeordnete, die für den Einsatz deutscher Soldaten und damit für den Krieg als Mittel der Politik in Afghanistan gestimmt haben, sind mit verantwortlich für diese Toten und die vielen tausenden Menschen, die diesem nunmehr Jahre andauernden und immer weiter eskalierenden Krieg zum Opfer gefallen sind. Bundestagsabgeordnete entscheiden über Leben und Tod. Welches Leben aber wird durch diesen Krieg und die durch ihn verschuldeten Toten gerettet?
Ich stelle mir vor, ich habe für diesen Krieg gestimmt und höre morgens beim Frühstück die oben zitierten Nachrichten. Muss mir nicht der Bissen im Halse stecken bleiben? Muss ich mich nicht schuldig fühlen? Habe ich nicht mit gemordet? Kann man sich – wie es McCrystal getan hat – für den Tod von Unschuldigen entschuldigen? Ist es nicht schlimmster Zynismus, darüber „betrübt“ zu sein, zu suggerieren, „eine gründliche Untersuchung des Vorfalls“ würde verhindern, „dass so etwas noch einmal passiere“, wo zahllose Untersuchungen zuvor die neuen Toten nicht verhindert haben? Und sagt einem nicht schon der gesunde Menschenverstand, dass, solange weiter Krieg geführt wird, weitere Menschen sterben werden?
Laut Grundgesetz sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „nur ihrem Gewissen unterworfen“. Es ist ein Allgemeinplatz, dass die politische Praxis anders aussieht. Sich aber bewusst zu machen, mit der eigenen Stimme für die Fortsetzung des Krieges und damit für den Tod und die Verstümmelung weiterer unschuldiger Menschen verantwortlich zu sein, vielleicht hilft das, zur Besinnung zu kommen, zur Vernunft, „jener Vernunft, die uns den Frieden befiehlt, weil der Unfriede ein anderes Wort für die extreme Unvernunft geworden ist.“ So Willy Brandt in seiner Rede anlässlich des 1971 an ihn verliehenen Friedensnobelpreises. In seinem Testament hat Alfred Nobel festgelegt, nach welchen Kriterien der Friedensnobelpreis verliehen werden soll: „…an denjenigen, der am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt hat.“ Dies sollte deutschen Parlamentariern allein Anlass genug sein, noch einmal zu überdenken, ob sie es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, an diesem Freitag für eine Fortsetzung des Krieges in Afghanistan zu stimmen.


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