Was Wirtschaftsminister Rösler von den USA lernen kann (01.08.2011)
An den steuerpolitischen Vorstellungen des Wirtschaftsministers sind schon die USA gescheitert – und die rot-grüne Bundesregierung
Eine höhere Dosis Wirtschaftsliberalismus, als sie derzeit Philipp Rösler verkörpert, ist wohl kaum vorstellbar: Der Chef der FDP ist gleichzeitig Chef des Bundeswirtschaftsministeriums, das vielleicht nicht umsonst korrekt Bundesministerium für Wirtschaft heißt.
Und wenn derzeit ein Spitzenpolitiker seine Ämter ausfüllt, dann ist es Philipp Rösler. Eine perfektere Symbiose von Person, Partei,  Ideologie und Ämtern ist kaum vorstellbar. Das sollten auch seine politischen Gegner anerkennen. Und sich an ihm ein Beispiel nehmen. Denn wäre beispielsweise die SPD ähnlich konsequent wie Rösler, nur eben sozialdemokratisch, hätte dieses Land wieder eine ernstzunehmende Opposition.
Philipp Rösler konzentriert sein wirtschaftsliberales Denken in seinen steuerpolitischen Vorstellungen. Nicht nur, dass Steuersenkungen seiner Auffassung nach per se Wachstum und Beschäftigung dienen, sie finanzieren sich auch selbst. Deswegen kann er auch guten Gewissens Steuererhöhungen für Besserverdienende und Vermögende, wie sie derzeit nicht nur von SPD und LINKEN, sondern auch aus den Reihen der CDU gefordert werden, ablehnen.
Zauberwort Leistungsanreize
Das Zauberwort, mit dem sich Rösler vor jedem Einwand schützt, heißt Leistungsanreize. Steuersenkungen, so Rösler, „spornen“ die Menschen an. „Gleichzeitig setzt man Leistungsanreize des Einzelnen für die Zukunft und erhöht damit die volkswirtschaftliche Leistung“, sagt Rösler im Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag. Daher ist es auch nur folgerichtig, wenn der Bundeswirtschaftsminister annimmt, mit seiner Steuersenkungspolitik ohne Gegenfinanzierung auskommen und gleichzeitig den Schuldenabbau vorantreiben zu können.
Praxistest USA
Hat diese wirtschaftsliberale Idee aber jemals den Praxistest bestanden? Um das zu prüfen, lohnt sich ein Blick über den großen Teich, denn wohl keine Regierung hat Röslers steuerpolitische Vorstellungen so konsequent umgesetzt wie Ronald Reagan Anfang der 80er Jahre. Geichzeitig gelten ja insbesondere in liberalen und konservativen Kreisen die USA als wirtschaftspolitisches Vorbild. Die Bereitschaft, von ihnen zu lernen, dürfte also groß sein.
Diese Lernbereitschaft lässt sich vielleicht noch steigern, indem hier zur Bewertung  der amerikanischen Steuersenkungspolitik die „Eidgenössische Finanzverwaltung“ im schweizerischen Bern zitiert wird und nicht irgendein als „links“ verschriener Ökonom oder „gewerkschaftsnahes“ Institut. Von einer deutschen Finanzverwaltung sind vergleichbare Analysen leider nicht bekannt. Nach einer nüchternen Würdigung der Reaganschen Steuerpolitik ziehen die Eidgenossen folgenden Schluss:
„Die Erfahrungen in den USA und anderen Staaten zeigen, dass generelle Steuersatzreduktionen (bzw. -erhöhungen) eben doch zu Aufkommenseinbußen (bzw. -zuwächsen) führen…Dementsprechend zeigen sich die Auswirkungen der Reaganschen Steuerreformen (gepaart mit Ausgabenerhöhungen) in erster Linie in Form von beträchtlichen Budgetdefiziten…Aus orthodoxer, ökonomischer Sicht ist die Forderung nach einseitigen Steuersenkungen, ohne entsprechende Ausgabenkürzungen als populistisch einzustufen.“
Die Ausgabenkürzungen verschweigt Rösler zwar geflissentlich, sie sind aber fester Bestandteil seiner Ideologie, die im Kern ja alles Staatliche im Wirtschaftsgeschehen verteufelt.
Auch rot-grün ist mit Steuersenkungspolitik gescheitert
Wenn dieser Befund den Wirtschaftsminister und FDP-Parteivorsitzenden nicht vollständig überzeugt, so erleichtert ihm vielleicht der folgende Ausflug in die rot-grüne Regierungszeit einen Rückzieher: Auch die jetzt in der Opposition sich aufmüpfig gebenden Sozialdemokraten – wie auch die GRÜNEN – haben in ihrer Regierungsverantwortung nicht klüger agiert. Der Misserfolg Reaganscher Steuerpolitik war auch damals schon bekannt. So datiert das zitierte Grundlagenpapier der Schweizer Finanzverwaltung aus dem September 1999.
Noch 2003 aber fand der damalige Finanzminister Eichel (SPD)  zum Vorziehen der Steuerreform folgende Worte: „Es wird einen spürbaren Selbstfinanzierungseffekt geben, der auch für die Sozialversicherungen Entlastungen bringt.“ Wenn das kein Déjà-vu ist. Die damalige Bundesregierung erwartete von den vorgezogenen Steuersenkungen zudem einen halben Prozentpunkt mehr Wachstum.

Steuersenkungen folgt der Rückzug des Staates durch Ausgabenkürzungen

Das Wirtschaftswachstum in Deutschland blieb indes schwach: 2004: 1,2 %; 2005: 0,8 %. Der Finanzierungssaldo des Staates in Prozent des Bruttoinlandsproduktes blieb negativ: 2004: -3,8 %, 2005: -3,3%.

Und noch ein Zusammenhang scheint eindeutig: Dem Rückzug des Staates auf der Einnahmeseite folgte ein Rückzug des Staates auf der Ausgabenseite:  So sind die Einnahmen gemessen am Bruttoinlandsprodukt (Einnahmequote) von über 46% (2000) recht stetig auf rund  44 % (2008) vor der Finanzkrise gesunken. Die Ausgaben (Staatsquote)  folgten dieser Entwicklung; sie sanken von rund 48 % (2000) auf 44 % (2008).

Schon geringer Anstieg der Einnahmequote erhöht staatlichen Handlungsspielraum

Bei einem Sozialprodukt von rund 2,5 Billionen Euro entspricht ein Prozent mehr oder weniger bei der Staatseinnahmen bzw. –ausgabenquote 25 Mrd. Euro. Das zeigt den finanziellen Spielraum, den jede Regierung zur Gestaltung öffentlicher Aufgaben wie Bildung, Forschung, Infrastruktur hat, ohne sich weiter verschulden zu müssen.


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