Eurokrise/Frankreich: Die Weihnachtsmänner vom IWF

IWF = Indoktrinative Wirtschaftsfundamentalisten

Endlich ist er da, der Frankreich-Report des IWF. Die ihm zugrundeliegenden Konsultationen des IWF mit der französischen Regierung wurden bereits vor über einem Monat abgeschlossen. Und tatsächlich hält der IWF darin eine klare Botschaft bereit: Der IWF sollte nicht länger für Internationaler Währungsfonds stehen, sondern für Indoktrinative Wirtschaftsfundamentalisten. Denn wenn eines aus dem Report des IWF in der zentralen Frage nicht nur für Frankreich, sondern die gesamte Eurozone spricht, dann ist es ökonomischer Fundamentalismus. Fast könnte man meinen, die Deutschen hätten jetzt auch den IWF übernommen, nachdem die eiserne deutsche Kanzlerin und ihr sparwütiger Finanzminister ohnehin schon nicht Wohl aber Wehe der Menschen in der Eurozone dirigieren oder besser drangsalieren.

Zentrale Voraussetzung für funktionierende Währungsunion nicht im Blick

Es ist schon eine besondere Ironie, dass der Internationale Währungsfonds die zentrale Voraussetzung für das Funktionieren einer Währungsunion nicht thematisiert. Die zentrale Voraussetzung ist, dass sich die nationalen Inflationsraten in den einzelnen Ländern gleich entwickeln. Deswegen wurde mit der Begründung der gemeinsamen Währung auch ein gemeinsames Inflationsziel vereinbart. Es liegt im Fall der Eurozone bei nahe unter zwei Prozent. Die Einhaltung des vereinbarten Inflationsziels ist deswegen so zentral, weil ein Land im Falle eines Unterschreitens des Inflationsziels an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt und ein Land, das das Inflationsziel überschreitet, an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Dieser Wettbewerbsgewinn bzw. -verlust kann im Rahmen einer gemeinsamen Währung nicht länger durch Auf- oder Abwertung der nationalen Währungen ausgeglichen werden.

Die im Vergleich zum IWF nicht minder ökonomisch konservativ ausgerichtete OECD hat dieser Voraussetzung Ende November  unmissverständlich Ausdruck verliehen, indem sie mit Bick auf die auseinandergelaufene Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraums festhielt:

“Der Ausgleichsprozess setzt Veränderungen bei der Binnennachfrage und den realen Wechselkursen voraus, sowohl in Ländern mit  Leistungsbilanzdefiziten, als auch in Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen.”

Auf Deutschland bezogen stellte die OECD zugleich fest:

“Beispielsweise wäre in Deutschland ein 23%iger Anstieg der relativen Lohnstückkosten im Vergleich zu den übrigen Ländern des Euroraums erforderlich, um das Niveau der relativen Wettbewerbsfähigkeit von 1998 wieder herzustellen.”

Entwickelt sich Frankreich zum lumpigen Farcereich? – Ein noch nicht zu Ende geschriebener Wirtschaftskrimi

Den indoktrinativen Wirtschaftsfundamentalisten des IWF ist solche Einsicht völlig fremd. Im Frankreich-Report heißt es unter der Überschrift “Schließen der Wettbewerbslücke” (Closing the competitiveness gap):

“Die Wettbewerbslücke, die sich über die Zeit aufgebaut hat, ist einer Reihe von strukturellen Problemen geschuldet, mit Hemnissen, die im Kern die Funktionsweise auf dem Arbeitsmarkt und auf den Warenmärkten behindern.” (The competitiveness gap that has built up over time owes to a range of structural problems, with impediments in the functioning of  labor and product markets at its core.) Der “Kern” ist natürlich die “freie” Preisbildung. Und frei heißt immer frei von jedweder Regulierung.

Wir kennen diesen Fundamentalismus spätestens seit der Agenda 2010, deren Entwicklung und Durchsetzung wortgetreue “Argumente“  vorangingen und sie begleiteten. Auf der Internetseite der  Bertelsmannstiftung, einer der zentralen Agenten der Agenda 2010, heißt es noch heute in der Rubrik Wirtschaft: “Beschäftigungsmisere, Sozialstaatskrise und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zeugen von Verkrustungen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.”

So erscheint es denn auch, in Anlehnung an den berühmten achtzehnten Brumaire, als “lumpige Farce”, dass sich zehn Jahre nach der Tragödie Agenda 2010 und Hartz IV die Geschichte in Frankreich zu wiederholen scheint. Der “sozialistische” Präsident Francois Hollande hat – ähnlich oder sogar identisch wie SPD-Kanzler Schröder damals – bei einem Unternehmensführer um Rat gefragt und um ein Gutachten für die französische Volkswirtschaft gebeten. Der ließ sich natürlich nicht lange bitten und schon gar nicht lumpen. Die Rede ist von Louis Gallois, dem ehemaligen Chef des staatlich hoch subventionierten Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzerns EADS – und jetzigen Regierungsberater. Peter Hartz lässt grüßen. Da passt es ganz vorzüglich, dass sich kein geringerer als Altkanzler Schröder schon frühzeitig als expliziter Kritiker des französischen Präsidenten hervorgetan hat, als Hollande noch den Anschein vermittelte, etwas im Dienste der Menschen bewegen zu wollen.

Und was liegt da näher, als dass auch der IWF seine “Analyse” auf das “Gutachten” des ehemaligen Unternehmensführers aufbaut – und obendrein noch überaus großzügig die Deutschen als positive Bezugsgröße heranzieht:

“Der Gallois-Report, herausgegeben am 5. November, hebt die hohen Arbeitskosten (und niedrige Profitabilität) sowie Nicht-Kosten-Faktoren hervor, wie etwa: die Schwierigkeit französischer kleinerer und mittlerer Unternehmen bei der Erschließung von Exportmärkten; die Unfähigkeit französischer Betriebe in der Verarbeitenden Industrie in der Wertschöpfungskette aufzusteigen, im Vergleich zum Beispiel mit deutschen Unternehmen…” (The Gallois report, released on November 5, highlights high labor costs (and low profitability) and non-cost factors, such as: the difficulty French SMEs have in accessing export markets; the inability of French manufacturers to move up the value added chain as compared, for instance, with German manufacturers; a weak integration between fundamental research and industrial R&D, despite France’s noted preeminence in the hard sciences; an education system which still creates mismatches between demand and supply; and less stable relationships between large enterprises and their supply chain, again as compared to Germany.)

Es folgt eine dezedierte Kritik nationaler Regulierungen des Arbeitsmarktes. Um noch einmal die Identität zur Entwicklung der Agenda 2010 hervorzuheben, sei daraus diese Passage zitiert:

“Nationale Regulierungen und Sektor übergreifende Vereinbarungen haben die Fähigkeit der Unternehmen begrenzt, Löhne und Arbeitsbedingungen so zu verhandeln, dass der von Wettbewerb und Konjunkturschwankungen ausgehende Druck hätte angemessen berücksichtigt werden können.” (National regulations and collective sector agreements have limited the ability of enterprises to negotiate wage and/or work arrangements that take into account competitive or cyclical pressures.)

Im Klartext heißt das, dass Frankreich, wie zuvor Deutschland, auf das sich der IWF ja zugleich positiv bezieht, tarifliche Regelungen auflösen und Arbeitsbedingungen verschlechtern soll. Es fehlt an sich nur noch, dass – wie führende “Linke” in Deutschland Hartz IV, Rentenkürzungen und anderen sozialen Schweinereien im Bundestag zugestimmt haben – sich auch die “Sozialisten” in Frankreich dieser volkswirtschaftlich verheerenden Unternehmenslogik beugen und die Geschichte sich so tatsächlich als lumpige Farce wiederholt.

Die vom IWF wiedergegebenen Innenansichten aus der Regierung Hollande sprechen zunächst einmal dafür, dass es so kommen wird:

“Die Verantwortlichen waren optimistisch, dass die Sozialpartner der Herausforderung nachkommen würden, bedeutende Reformen vorzuschlagen. Die meisten Parteien haben anerkannt, dass die gegenwärtige Situation sozial nicht nachhaltig ist, und, einigen Beobachtern nach zu urteilen, hängt die Legitimität der Gewerkschaften davon ab, inwieweit diese sich als fähig erweisen, Teil einer kooperativen Lösung zu werden. Die Regierung plant die Verhandlungsergebnisse mit Gesetzesänderungen zu unterstützen und, sollte eine gemeinsame Verhandlungslösung scheitern, auch allein voranzugehen.” (The authorities were optimistic that social partners would rise to the challenge of proposing meaningful reforms on all of the above issues. Most parties acknowledged that the current situation is socially  unsustainable and, according to some observers, the legitimacy of labor unions depends on their ability to be part of a cooperative solution. The government plans to support the outcome of the negotiations with legislative changes, but has also indicated that, in the absence of a suitable agreement, it would be willing to move ahead unilaterally.)

Na, solch eine Regierung braucht nun wirklich keinen IWF mehr! Ein beängstigendes Szenario – gerade wenn man die sozialen Verwerfungen und die Spaltung in superarm und superreich berücksichtigt, die die Agenda 2010 in Deutschland hervorgerufen hat.

Der IWF verweist darauf, dass der Gallois-Report einen “Wettbewerbsschock” für Frankreich empfohlen hat (…the Gallois report recommended a competiveness shock in the form of a reduction of employers’ social security contributions of roughly 1.0 percent of GDP.). Auch dies ist uns als Lohnnebenkosten- bzw. Lohnzusatzkosten-Debatte wohlbekannt. Der heutige Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, argumentiert ungeachtet seit Jahren anhaltender Rekordüberschüsse in der deutschen Leistungsbilanz auch aktuell noch damit: “Aber wir müssen darauf achten, dass wir als Exportnation wettbewerbsfähig bleiben. Mit zu hohen Lohnzusatzkosten geht das nicht.”

Klar, dass so betrachtet auch der Mindestlohn in Frankreich nur zu hoch sein kann: “Das hohe Niveau des Mindestlohns ist ein weiteres Hindernis für Wachstum und Beschäftigung.” (The high level of the minimum wage is another impediment to growth and employment.)

Schräg und verlogen

Was hat dieser reale Wirtschaftskrimi nun mit dem Funktionieren einer Währungsunion zu tun? Ganz einfach: Frankreich ist – neben dem volkswirtschaftlich nicht annährend so stark ins Gewicht fallenden Finnland – das einzige Land in der Eurozone, das sich bisher an das vertraglich vereinbarte Inflationsziel von nahe unter zwei Prozent gehalten hat. Schon von daher ist es schräg und verlogen, Frankreich ein Wettbewerbsproblem in die Schuhe schieben zu wollen. Der Lump ist vor allem Deutschland, das eben aufgrund des Rezeptes, das der IWF jetzt auch Frankreich empfiehlt, das vereinbarte Inflationsziel fortlaufend unterschritten und damit an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Frankreich und anderen Euroländern gewonnen hat. Die “Reformen” haben nämlich dazu beigetragen, dass erzielte Produktivitätsgewinne nicht in entsprechende Lohnsteigerungen umgesetzt werden konnten und so die für die Preisentwicklung bzw. das Inflationsziel entscheidenden Lohnstückkosten hinter die für den Währungsraum vereinbarten Vorgaben zurückgefallen sind.

Um das zu erkennen und zu thematisieren, hätte der IWF nur diese beiden Graphiken in seinem Report richtig, das heißt gemessen an den vertraglichen Vereinbarungen zur Europäischen Währungsunion und der ihr zugrundeliegenden Logik, deuten müssen.

Entwicklung der Lohnstückkosten und der Arbeitnehmerentgelte pro Kopf in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien, 1990 bis 2012 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die linke Graphik zeigt die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten, die für die Preisentwicklung und damit für die Einhaltung des Inflationsziels verantwortlich zeichnen. Die rechte Graphik zeigt die Entlohnung der Arbeitnehmer pro Kopf. Man stelle sich einmal vor, die Europäische Währungsunion hätte sich als Ganzes entsprechend der französischen Volkswirtschaft entwickelt. Nicht nur wäre dann das Inflationsziel eingehalten worden; automatisch hätten auch die Arbeitnehmer – gerade in Deutschland – wie die Volkswirtschaften als ganzes stark davon profitiert.

Dank IWF kann sich Schäuble Gutachten des Sachverständigenrats schenken

Die Ideologen beim Währungsfonds aber kennen nur eine Richtung, deswegen loben sie auch Italien und Spanien, die schließlich bereits dem deutschen Musterknaben folgen:

“Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit war bereits vor Ausbruch der Kirse evident, aber wenn die französische Wirtschaft sich nicht entsprechend ihrer wichtigsten europäischen Handelspartner entwickelt, namentlich Italien und Spanien, die bereits Deutschland folgen und wesentliche Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Dienstleistungssektor umsetzen, werden die Risiken noch größer werden.” (The loss of competitiveness predates the crisis, but risks becoming even more severe if the French economy does not adapt along with its major trading partners in Europe,
notably Italy and Spain which, following Germany, are now engaged in significant reforms of their labor markets and services sectors.)

Bundesfinanzminister Schäuble wird erfreut sein, dies zu lesen. Kann er sich doch so das von ihm ins Auge gefasste Gutachten des deutschen Sachverständigenrates für Frankreich sparen; und letzteres ist schließlich seine große Leidenschaft.

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