Gute Nacht – von Nobert Wiersbin zum Tag der Menschenrechte am 10.12.2012

Nur weil es schon so spät ist in finsterer Nacht, das Einschlafen schwer fällt und Ihr Euch unruhig hin und her wälzt, erzähle ich Euch noch eine kleine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten:

Es war im Jahre 1948, nach Christus, da verkündeten die Vereinten Nationen eine Charta an die Menschen in der Welt, die hieß “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte”. Achtundzwanzig Jahre später, die Erklärung war schon lange flügge geworden und drohte sich in endlosen Weiten zu verlieren , wurde sie völlig unversehens durch 171 Staaten, auch durch die Bundesrepublik Deutschland, ratifiziert.

Eine “Charta” ist eine für das Staats- und Völkerrecht grundlegende Urkunde, sie wird meist auf pompösen Treffen der Kaiser und Könige feierlich unterzeichnet und besiegelt. Und “ratifizieren” heißt nichts anderes, als dass alle Staaten, alle Kaiser und Könige diese beurkundete Charta für alle verbindlich erklären und sich zukünftig daran halten wollen.

Das waren noch dolle Zeiten, da hatten die Menschen noch Humor und Sinn für verrückte Visionen. Und das, obwohl der damalige König von Deutschland alle Menschen mit Visionen zum Arzt schicken wollte!

Ich lese Euch ganz leise aus dieser Geschichte etwas vor. Da stehen zwar noch vielmehr schaurig-lustiger Dinge drin, aber weil Märchen ja immer so lang sind, soll hier nur ein kleiner Auszug folgen:

Artikel 23 “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte”

(1) Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.

(2) Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

(3) Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.

(4) Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.

Ja, so war das in längst vergangenen Zeiten, es wurde viel versprochen und die Menschen hatten eine gemeinsame, universelle Vision. Jesus Christus ist schon länger tot und seine Perlen werden heute vor die Säue geworfen. In diesen dunklen Zeiten verdienen Frauen im Durchschnitt noch immer 30% weniger als Männer. Viele Mütter und Väter müssen sich den ganzen Tag als Knechte in Fronarbeit verdingen und wissen trotzdem nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Statt gerechter und befriedigender Entlohnung schufen die Könige 1€-Jobs.

Das ist die Wirklichkeit: 1€ pro Stunde für Arbeiten, die früher ein auskömmliches Einkommen erbrachten! Unsere Gesellschaft ist kalt und rau geworden, ganz Wenige verfügen über ganz viel Geld und ganz Viele wissen nicht, wovon sie leben sollen. Jedes fünfte Kind wächst heute unterhalb der Armutsgrenze auf, ohne Aussicht auf gesunde Ernährung, auf eine gute Bildung oder auf eine tragfähige Zukunft. Dabei hätten doch auch diese Vielen Anspruch auf ein Stück von dem Kuchen, den die Wenigen nicht einmal aufessen können. Eine schöne neue Welt ist das geworden, in der die Menschenrechte mit Füßen getreten werden und Gier, Habgier, Missgunst und Neid zur Religion erhoben wurden.

Und nun die Moral von der Geschicht‘: Wir haben uns von unseren Idealen und von unseren Visionen abgewandt und huldigen einem falschen und trügerischem Gott: dem glitzernden Mammon. Und die Reue, das wisst Ihr meine Lieben, die kommt immer viel zu spät!

So, nun aber gute Nacht, schlaft alle schön, der Märchenonkel wünscht Euch süße Träume. Und wenn Ihr endlich wieder wach werdet, könnt Ihr ja – bevor Euch der Zeitgeist noch weiter zu verblöden sucht – in den anderen Artikeln der Geschichte herum stöbern!

http://www.unric.org/html/german/menschenrechte/UDHR_dt.pdf

© Norbert Wiersbin

Norbert Wiersbin hat an der Uni Münster Erziehungswissenschaften, Psychologie, Soziologie und Philosophie studiert und war Schüler von Prof. Dr. Dieter Sengling, dem Herausgeber der ersten Armutsberichte in Deutschland. Er arbeitet als Autor und Publizist.

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