Alltag im Regierungsviertel: Drei Szenen

Erste Szene

Früher Abend. Ich streife mit Hilka durch das Regierungsviertel. Luisenstraße/Wilhelmstraße. Wieder einmal – Alltag im Regierungsviertel – werden die Straßen von martialisch aussehenden Motorrad-Polizei-Streifen gesperrt. Die Blaulichter blitzen hektisch. Mich nervt dieses Gehabe. Staatsmacht. Warum regieren die da oben auch so, dass sie das hier brauchen. Und doch rutscht mir im Vorbeigehen nichts anderes als diese Bemerkung zu einem der um Einschüchterung ringenden Polizisten heraus: “Ihr Licht ist kaputt.” Ich habe ihn mit ernster Miene direkt angesprochen und dabei durch das Visier seines Helmes geblickt, seine Augen suchend. Der Polizist beginnt hektisch sein Vorderlicht zu kontrollieren. Und kontrollieren kann er ja. “Es blinkt so”, sage ich, jetzt auf das Blaulicht guckend, nachdem ich die Kunst der Pause ausgekostet habe. Und dann passiert etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe. Der Polizist bricht in schallendes Gelächter aus. Ich war schon ein paar Meter weiter, da höre ich ihn noch rufen: “Manchmal jeht es und manchmal jeht es nicht.” Weg war alles Drohende, das von diesem Polizisten ausging. Sein herzhaftes Lachen hat ihn im Handumdrehen zum Menschen werden lassen.

Zweite Szene

Wir streifen weiter, Hilka und ich. Vor dem Reichstag. Lautlos und pfeilschnell fahren drei schwarze Limousinen vor und kommen vor dem seitlichen Eingang zum Reichstag zum Stehen. Die vordere und die hintere Limousine tragen Blaulicht. Aus der mittleren Limousine steigen wie aus dem Nichts drei Sicherheitsbeamte aus. Ohrstöpsel, schwarze Anzüge. Schatten die Schatten werfen. Sie schauen nach rechts und links, tasten mit ihren leblos scheinenden Augen routinemäßig die Umgebung um ihre Limousinen herum ab. Dann steigt ein Mann aus dem Wagen. Auch er im dunklen Anzug, einen Aktenkoffer in der Hand. Er schaut sich nicht um und geht wie auf Schienen auf den Eingang des Reichstags zu. Es ist Innenminister Friedrich. Ich erkenne ihn auch ohne sein Gesicht zu sehen. Eiskalte Atmosphäre liegt in der Luft. Der Reichstag nimmt ihn laulos auf wie ein Raumschiff. Sind das Volksvertreter? Sie sehen zumindest nicht so aus. Mir fällt “Nein. Die Welt der Angeklagten” von dem vor wenigen Tagen verstorbenen Walter Jens ein. Ich habe es in meiner Jugend gelesen. Jetzt wird es wieder lebendig in mir.

Dritte Szene

Heute Mittag. Auf dem Weg zu meinem Arbeitsplatz. Ein verlorenes Paar Schuhe steht verlassen auf dem Gehsteig und schweigt. Ich muss an Edward Snowden denken. Und dass Obama hoffentlich bald der Friedensnobelpreis aberkannt wird. Noch schöner wäre natürlich, wenn er sich doch noch an seine Verantwortung als Friedensnobelpreisträger erinnern würde.

 

 


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