Krieg/Syrien: Nur der Krieg darf Gegner sein

Wenn der Krieg schon wieder alltäglich zu werden droht oder bereits ist, wenn er als etwas Selbstverständliches begriffen wird, selbst, wenn die, die ihn als selbstverständlich begreifen, ihn verurteilen, dann spätestens ist es an der Zeit, erneut zu versuchen, ihm wieder grundsätzlich zu begegnen. Ein Grundsatz ist: Der einzige Gegner im Krieg darf nur der Krieg sein. Nicht die eine oder die andere Seite eines Konfliktes oder Krieges darf der Feind sein, sondern nur der Krieg selbst.* Zu meinen, Frieden mit Gewalt herbeiführen zu können – und diese Auffassung bestimmt die Politik – kann nur bedeuten, dass man den Krieg nicht nur als Gegner begreift, sondern immer auch als Mittel.

Dass das Motiv, Frieden zu schaffen, dann nicht im Vordergrund steht, äußert sich nicht nur darin, dass die Beteiligten selbst zu den Waffen greifen, sondern auch in der Rechtfertigung, die die so Handelnden für ihr Tun ins Feld führen. Da ist von Strafe, Sühne, Vergeltung, Konsequenzen die Rede. “Das syrische Regime darf nicht hoffen, diese Art der völkerrechtswidrigen Kriegführung ungestraft fortsetzen zu können”, sagte beispielsweise Regierungssprecher Seibert, und man darf davon ausgehen, dass er seine Wortwahl mit der Kanzlerin abgestimmt hat. SPD-Chef Sigmar Gabriel twittert: “Wir dürfen in Syrien jetzt nicht den Fehler machen, ausschließlich der militärischen Logik zu folgen.” Ein bisschen Diplomatie nebenher also? Der Friedensnobelpreisträger, Präsident und Oberbefehlshaber der amerikianischen Streitkräfte Barack Obama meint, dass ein Angriff gegen das syrische Regime als Vergeltung ein “ziemlich starkes Signal” senden würde (“a pretty strong signal”). Gleichzeitig sagte er Gespräche mit Moskau ab – mit der Begründung erst seien die Ergebnisse der UN-Ermittler abzuwarten. Das hat den Friedensnobelpreisträger aber nicht davon abgehalten, schon vorher sein Urteil zu fällen und sich in Kriegsrethorik zu üben.

In dieser üben sich auch die Medien: “Alle warten auf Obamas Befehl“, überschrieb Spiegel online einen Beitrag. Wie selbstverständlich wird da über einen anstehenden Militärschlag berichtet, und routinemäßig werden auch von Journalisten einige Eventualitäten durchgespielt. Auch andere Berichterstatter zeigten sich darin geübt. Wir kennen dies aus vorangegangenen Kriegseinsätzen des “Westens”.

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Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.

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Das alles liegt erst einen Tag zurück. Heute muss Spiegel online mit “Amerikas Angst vor einem zweiten Irak” aufmachen. Das aber trifft gar nicht den Punkt. Denn wenn es so wäre, hätte es Obama doch gar nicht so weit kommen lassen. Nein, es ist – in den USA wie in England und auch in Frankreich – vielmehr dieser Kontrapunkt, der die Kriegsbegeisterten zurückhält: Die Bevölkerungen hier wie dort sind gegen den Krieg. Und wohl auch einige Parlamentarier. Nur das hält den emsigen englischen Premier Cameron zurück: “Der britische Premier David Cameron, der bisher auf Eile drängte, will nun erst den Bericht der Uno-Inspektoren abwarten, der wahrscheinlich Anfang nächster Woche kommt”, berichtet der Spiegel ebenda. Eine entsprechende Entwicklung wird heute früh auch aus den USA und am Nachmittag auch aus Frankreich gemeldet. Während die vom Volk gewählten Regierungen den Krieg wie selbstverständlich als Mittel der Politik begreifen, sind diejenigen, die diese Regierungen gewählt haben, mehrheitlich dagegen. Und sie liegen richtig, denn, wie wir es einleitend formuliert haben: Der Krieg selbst ist der Gegner. Der Gegner des Friedens. Was maßt sich Obama an, die grässlichen Morde in Syrien zu verurteilen und mit Gewalt und weiteren Toten zu “vergelten”; ist es doch sein Land, dass mit Lügen den Krieg im Irak und mit ihm bis heute eine Spur der Verwüstung mit Millionen Toten zu verantworten hat. Es war sein Land, das mit dem damaligen irakische Regime bei Giftgasangriffen auf den Iran zusammenarbeitete und die Chemikalien dafür gleich mitlieferte. Und wenn der Krieg in Syrien erneut eines schauerlich belegt: Die eine oder andere Seite in einem Krieg zu unterstützen, bedeutet, den Krieg zu rechtfertigen und ihn weiter sein Unheil stiften zu lassen.

Das Verurteilen jener Doppelmoral führt jedoch nicht eigentlich weiter, so wichtig es ist, auf diese hinzuweisen. Das eigentlich Verurteilenswerte ist die grundsätzliche Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung. Eine politische Partei, die daher Gewalt nicht grundsätzlich – auch und vor allem im aktuellen Kontext – anprangert, bloß stellt und verurteilt, kann niemals Friedenspartei sein. Der Satz “Frieden schaffen ohne Waffen” ist daher heute so gültig wie damals. Konkret heißt das, nichts unversucht zu lassen, darauf zu drängen, dass die Konfliktparteien miteinander reden, die Waffenversorgung aus dem Ausland konsequent zu unterbinden und zu verurteilen und die daran Beteiligten aufzudecken und zu benennen; ohne Tabus müssen darüber hinaus die Amerikaner wie die Russen selbst das Gespräch mit Assad und den Ansprechpartnern auf der Gegenseite suchen und vorantreiben. Immer und immer wieder. Ausgrenzung und moralische Überheblichkeit, sich auf eine Seite des Krieges zu schlagen, macht die so Handelnden zu Handlangern des Krieges. Wer das in Regierungsverantwortung nicht leistet, ist mit Schuld am Krieg. Wer selbst kriegerisch eingreift, ist es um so mehr.

*Hiergegen dient sicherlich häufig der von den Deutschen unter Hitler über die Welt gebrachte Vernichtungsfeldzug als Einwand. Das ist richtig. Ist es erst einmal zu diesem Stadium gekommen, symbolisiert ein Faschist und Massenmörder wie Hitler oder ein Feldherr wie Napoleon selbst den Krieg, ist diesem nur noch unter dem schrecklichem Opfer der Gegengewalt zu begegenen. Wir haben es bei den Kriegen, wie in Syrien, im Irak, in Afghanistan, damals in Vietnam aber nicht mit Expansions- und Eroberungskriegen zu tun – jedenfalls nicht von der Seite ausgehend, die allzu selbstsicher und einseitig zum Feind(bild) erklärt wird: die Regierungen in jenen Ländern. Dass es sich bei diesen Regierungen nicht um Demokratien, sondern um Diktaturen handelt, gefällt dem Autor auch nicht. Einen Krieg gegen diese zu führen, kann dies jedoch nicht rechtfertigen. “Der Westen” schreckt – wie auch aktuell in Syrien – darüber hinaus auch nicht davor zurück, sich seiner Kriegsführung wiederum undemokratischer Regime und anderer Kräfte zu bedienen.


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