Experten der EU-Kommission plädieren für mehr erneuerbare Energien – Von Jade Lindgaard
Mediapart

In der frz. Online-Zeitung Médiapart.fr am 16.12.2013 erschienener Artikel.
Originaltitel: “Europe: les experts de la Commission pour plus d’énergies renouvelables”

Autorin: Jade Lindgaard, Médiapart-Journalistin - Übersetzung ins Deutsche: Gerhard Kilper

Zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, zur Reduzierung des energetischen (Handels-) Defizits und zur Verbesserung der Gesundheit der Europäer kommt ein internes Dokument der EU-Kommission, das Médiapart.fr vorliegt, zum Schluss, Europa solle sich anspruchsvolle Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes setzen.

Zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, zur Reduzierung seines energetischen (Handels-) Defizits, seiner energetischen Abhängigkeit von fossilen Energieträgern (Kohle, Öl, Gas) und zur Verbesserung der Gesundheit der Europäer, sollte sich die EU anspruchsvolle Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes setzen – das empfiehlt ein internes EU-Kommissions-Papier zur europäischen Klimapolitik.

Das Papier stammt also nicht von einer unabhängigen nichtstaatlichen Organisation (ONG) oder einem ökologischen Think-thank, sondern es kommt direkt aus den Diensten der EU-Kommission.

Es handelt sich um eine Wirkungsstudie zum “Energie-Klima-Paket 2030″, ein Direktiven-Bündel zur Strukturierung der Brüsseler Klimapolitik, das im nächsten Jahr beschlossen werden soll.

Die Rückwirkungen des Pakets auf nationale Strategien sind groß, wie schon die Ingangsetzung des Pakets “Energie-Klima 2020″ zeigte, das 2008 beschlossen wurde. Die für das Jahr 2014 anberaumten Treffen (auf EU-Ebene) mobilisieren schon jetzt alle Klima- und Energielobbyisten.

Médiapart hat sich einen Entwurf des Dokuments beschafft. Der Text ist die von den Experten der Dienste provisorisch erstellte Version vor politischer Diskussion und Verhandlung.

Inhalte des Dokuments

Zunächst wird festgestellt, dass die aktuell betriebene Politik keine Antwort auf die langfristigen Ziele der EU gegen den aus dem Ruder laufenden Klimawandel darstellen kann. Im Rahmen der Verhandlungen für ein Kyoto II-Protokoll müssen die Industrieländer bis 2050 ihren Treibhausgas-Ausstoß um 80-95% vermindern.
Brüssel geht von einem Szenario der Emissions-Absenkung um 45% bis 2030 aus – einer zu niedrig angesetzten Zwischenetappe für die Erreichung der Kyoto II-Ziele. Große nichtstaatliche Organisationen (ONG) erfüllt das schon lange mit Sorge. Mit ihrem Papier bestätigen  die Kommissionsexperten nun selbst diese Einschätzung.

Im Folgenden werden – als wichtigste Aussage der Wirkungsstudie – Kosten und Nutzen mehrerer Szenarien von Treibhausgasemissions-Senkung und Anteilen erneuerbarer Energien am Energiemix der Länder unter die Lupe genommen.
Ergebnis: je ambitionierter das Duo Treibhausgassenkung / Ausbau erneuerbarer Energien ausfällt, a) desto mehr Arbeitsplätze werden geschaffen, b) desto bessere Nutzeffekte für die Gesundheit der Europäer ergeben sich und c) desto größer fällt die Minderung energetischer (EU-)Importe aus.

Eine Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 40% allein könnte bis zum Jahr 2030 rund  678 000 Arbeitsplätze schaffen. Würde jedoch diese Senkung mit einem Anteil von 30% erneuerbarer Energien im Energiemix einhergehen (gegenüber lediglich 12,7% im Jahr 2010), würde sich die Anzahl neuer Arbeitsplätze quasi auf über 1,2 Millionen verdoppeln.

“Mehr Geld für (Real-)Kapital ausgeben könnte in Europa Arbeitsplätze und Einkommen bei Produzenten gering-fossiler Technologien bzw. (Technologien hoher) Energieeffizienz schaffen, solange Europa die industrielle Technologieführerschaft in diesen Bereichen aufrechterhalten kann.” Dies ganz im Gegensatz zum Szenario der Verwendung der gleichen Finanzressourcen zur Begleichung der Energie-Import-Rechnung.

Der zweite geschätzte Wirkungsfaktor der Studie bezieht sich auf die energetische EU-Handelsbilanz sowie auf Europas Nachfrage nach fossilen Energieträgern.
Wenn Europa seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 40% einschränkt, könnten die Energie-Importe um 7% verringert werden und sogar um 44% bis zum Jahr 2050.
Doch bei einer gleichzeitig zwingenden Steigerung des Anteils erneuerbaren Energien im Energie-Mix auf 30%, ergäbe sich eine Absenkung der Energie-Importe um 16% bis 2030 und um 53% bis zum Jahr 2050.

Die Nachfrage nach fossilen Energieträgern würde sich beim Alleinziel einer 40%-igen Senkung der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 11% verringern. Aber die Nachfrage nach fossilen Energieträgern fiele um 29%, wenn der Treibhausgas-Ausstoß um 45% eingeschränkt und gleichzeitig der Anteil erneuerbarer Energien in der Energieproduktion auf 35% ansteigen würde.

“Dank einer starken Durchdringung mit erneuerbaren Energien erhöht sich die Abhängigkeit von Importen langsamer als noch bei Annahme des Klimapakets vorhergesagt wurde” sagen die Autoren der Studie. Für sie “beschränkt der Ausbau der Erneuerbaren die Abhängigkeit von ausländischer Energie” und bringt daher auch “eine Senkung der europäischen (Energie-) Rechnung”.

Als letztes Kriterium wird in der Studie die Gesundheit der Europäer untersucht. Die Studie versucht eine Messung “der Jahre verlorener Leben” durch Umweltverschmutzung und Umweltschäden.

Sie kommt auch hier zum Schluss, beim Szenario stärkerer Emissions-Reduktion in Verbindung mit forciertem Ausbau erneuerbarer Energien wäre der Nutzeffekt für die Europäer sehr viel größer…

Schlussfolgerung

Um eine wirkliche (wirtschaftliche) Dynamik mit der Energiewende entfachen zu können, müssten ehrgeizige Ziele – inklusive dem Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Biomasse – angestrebt werden.

Diesen Schluss zieht die provisorische Version der EU-Wirkungsstudie. Wird sich diese Schlussfolgerung auch in der Endversion der Studie wieder finden? Sicher ist das nicht.
Greenpeace ist besorgt über die Mobilisierung der fossil-nuklearen Energiewirtschaft gegen Hilfen für erneuerbare Energien in der EU.

Der Energiebeauftragte von Greenpeace-France, Cyrille Cormier, warnt in diesem Zusammenhang davor, nur EU-Ziele zur Senkung des CO2- und Treibhausgasausstoßes zu beschließen. Dann könne es keine (wirkliche) Transformation des europäischen Energiemodells geben. Europa bleibe dann von Kohle und Atomkraft abhängig und die positiven (Impuls-)Wirkungen einer solchen Entscheidung auf die Wirtschaft seien gering …

Die offizielle Wirkungsstudie wird in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Die EU-Kommission tritt Anfang 2014 zur Verabschiedung von Zielen und Plänen zum Klima-Paket 2030 zusammen. Der europäische Ministerrat wird sich dann Mitte März 2014 dazu äußern.

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