US-Vorwahlen, Demokratie: Paul Krugmans Analyse von Sanders ist ein Lehrstück in Demokratie – auch für Deutschland

Ab und an schau ich bei ihm vorbei, bei Paul Krugman, genauer, bei seiner Kolumne in der New York Times. Gestern entdeckte ich dabei ein Lehrstück in Demokratie, die immer auch steht und fällt mit dem Umgang der politischen Protagonisten mit Sieg und Niederlage und dem politischen Umgang mit dem politischen Gegner oder, allgemeiner ausgedrückt, dem Umgang mit anderen Menschen und Meinungen. Krugman erklärt seinen Lesern, warum er sich nicht für Bernie Sanders begeistert. Und er führt gute Gründe dafür an. Gründe, die uns auch Vorsicht walten lassen sollten gegenüber Alternativen in Deutschland, seien sie politisch oder wissenschaftlich oder journalistisch.

Zum einen relativiert Krugman die Wahlsiege von Sanders sehr überzeugend, indem er auf die geringe Einwohnerzahl in den Staaten hinweist, in denen Sanders gewonnen hat, und auf die hohe Einwohnerzahl in den Staaten, in denen Clinton gewonnen hat. Nicht weniger überzeugend, und das soll hier der Gegenstand sein, wirft Krugman Sanders vor, dass er seine Unterstützer über die Wahlsiege Clintons täuscht, um sie herunterzuspielen und zu diskreditieren. Ebenso fragwürdig erscheint die Kehrtwende von Sanders und seinen Unterstützern bei ihrer Argumentation hinsichtlich der Superdelegierten (siehe zu allen drei Punkten Krugman hier).

Sich auf seine Kolumne beziehend, erklärt Krugman schließlich in einem weiteren Beitrag, warum der Umgang von Sanders und seinen Unterstützern mit Sieg und Niederlage nur beispielhaft zeigen würde, warum er Sanders und seiner Bewegung von Anfang an misstraut hat (“For the business about discounting Clinton support as coming from ´conservative states´ in the ´Deep South´ actually exemplifies the problem I saw in the Sanders campaign from the beginning, and made me distrust both the movement and the man.”).

Krugman greift sich die wichtigsten Schlagworte der Kampagne von Sanders heraus (“It’s all about the big banks; single-payer is there for the taking if only we want it; government spending will yield huge payoffs — not the more modest payoffs conventional Keynesian analysis suggests; Republican support will vanish if we take on corporate media.”).

All diese Schlagworte, so Krugman, seien problematisch, sobald man damit beginne, auch nur ein bisschen seine Hausaufgaben zu machen (“In each case the story runs into big trouble if you do a bit of homework; if not completely wrong, it needs a lot of qualification.”).

Viel gewichtiger aber noch ist dieser Vorwurf Krugmans: Die Antwort auf alle, die jene Schlagworte hinterfragten, würde lauten, dass er oder sie ein Mitglied des Establishments sei, persönlich korrupt, etc. Leute persönlich so in Misskredit zu bringen sei nicht die letzte Verteidigungslinie, sondern Argument, so Krugman (“But the all-purpose response to anyone who raises questions is that she or he is a member of the establishment, personally corrupt, etc.. Ad hominem attacks aren’t a final line of defense, they’re argument.”).

Um Missverständnissen vorzubeugen erklärt Krugman, dass es hier nicht um triviale politische Details gehe, sondern um eine Grundhaltung, das Gefühl, dass Rechtschaffenheit dich von der Pflicht entbinden würde, gründlich nachzudenken und das jedes Hinterfragen des Rechtschaffenen ein Verrat an der Sache ist (“It’s about an attitude, the sense that righteousness excuses you from the need for hard thinking and that any questioning of the righteous is treason to the cause.”). Diese Intoleranz sei von Anfang unmittelbar unter der Oberfläche der Bewegung von Sanders gewesen (“you’re seeing the intolerance that was always just under the surface of the movement, right from the start.”).

Hat Clinton etwa keine Probleme, fragt Krugman schließlich. Natürlich, antwortet er. Zu sehr auf Schmusekurs mit dem Establishment sei sie in der Vergangenheit gewesen. Und natürlich hätte sie nicht für den Irak-Krieg stimmen dürfen. Aber es gebe eben keinen Beleg dafür, dass sie korrupt sei, viele Belege aber dafür, dass sie gründlich über Dinge nachdenken würde und gewillt sei, vor dem Hintergrund von Fakten und Erfahrung ihre Meinung zu ändern (Does Clinton have problems too? Of course — she’s been too cozy with established interests in the past, she shouldn’t have given those speeches, and of course she shouldn’t have voted for the Iraq War. But there is no evidence that she’s corrupt, and lots of evidence that she both thinks hard about issues and is willing to revise her views in the light of facts and experience. Those are important virtues — important *progressive* virtues — that seem woefully absent on the other side of the primary..).

Ich kann nicht beurteilen, ob Krugman Clinton hier zu gut davon kommen lässt – ich befürchte es. Aber seine Argumentation zu Sanders und seiner Kampagne finde ich nachdenkenswert, wenn nicht überzeugend. Sie ist in meinen Augen ein Lehrstück in Demokratie – das auch auf Deutschland anwendbar ist.

Auch in Deutschland gibt es, sowohl in der Politik, als auch in Wissenschaft und Journalismus bei einigen Protagonisten die Attitüde, für sich wie selbstverständlich Rechtschaffenheit zu reklamieren und sie anderen abzusprechen. Widerspruch wird – wie Krugman es so hervorragend herausstellt – als “Verrat an der Sache” begriffen, anstatt einmal gründlich darüber nachzudenken oder über jene Einwende des anderen auch nur zu informieren. Es wird unzulässig pauschalisiert und verteufelt, böse Absicht unterstellt, ignoriert. Ich bleibe hier bewusst allgemein. Lesen sie das, was sie lesen, mit diesem Denkanstoß im Hinterkopf, und sie werden es, so die Hoffnung, selbst erkennen.

Die Kritik an Politik, Wissenschaft und Medien ist dabei auch bei den so Kritisierten häufig berechtigt. Auch Polemik ist ein legitimes Mittel der Zuspitzung und Auseinandersetzung. Das ist überhaupt nicht kritisierenswert. Kritisierenswert ist, wenn diejenigen, die so argumentieren, selbst nicht gründlich nachdenken und andere Meinungen und Kritik nicht zulassen bzw. darüber hinweggehen, sondern genauso einseitig vorgehen wie diejenigen, die sie genau deswegen kritisieren. Es ist auch ein Messen mit zweierlei Maß, das dabei waltet. Nicht selten habe ich mir aufgrund dessen schon gedacht: Ja, die geäußerte Kritik ist in dem und dem Punkt berechtigt, vielleicht sogar bedeutsam, aber in anderen Punkten wieder so verkehrt, pauschal, rechthaberisch, dass es doch ganz gut ist, wenn der so “argumentierende” Politiker, Wissenschaftler oder Journalist nur wenige erreicht bzw. nicht an die Macht kommt.

Abschließend noch zwei Beispiele, warum mich – ganz unabhängig von den beiden oben aufgegriffene Beiträgen Krugmans – das gleiche Misstrauen gegenüber Sanders plagt, das Krugman so vortrefflich artikuliert. Vor einigen Monaten schon stieß ich auf ein Video, in dem Sanders den ehemaligen Notenbankchef Greenspan angreift. Es ist wiederum nicht so, dass man ihm zumindest in einigen Punkten nicht recht geben möchte. Es ist die Art, wie er Greenspan angreift und wie er auf dessen Aussagen reagiert – wenn er ihn denn ausreden lässt. Ich, habe ich mir beim Sehen und Zuhören gedacht, würde ihm nicht meine Stimme geben. Sanders, meine ich. Nicht weil er nicht wichtige Fehlentwicklungen in den USA ansprechen würde. Es ist sein autoritärer Umgang, die Art, wie er mit Greenspan umspringt – und sicherlich nicht nur mit ihm, sondern mit anders denkenden – die abschreckt. Die Intoleranz, die Aggressivität, die Ungeduld, nicht zuhören zu können, bereits alles zu wissen. Gerade habe ich ein weiteres Video gefunden, in dem Sanders den Nachfolger Greenspans, Ben Bernanke, angreift. Hier gilt das gleiche. Es ist ebenfalls unten zu sehen. Entscheiden Sie selbst. Und ziehen Sie ruhig einmal Parallelen in Richtung Deutschland.


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