Neue Daten belegen ein weiteres Mal: Deutsches Exportüberschussmodell kann Eurozone nicht aus der Krise führen

Würde es sich nicht um das nüchterne europäische Amt für Statistik, Eurostat, handeln, könnte man dessen neueste Daten fast wie einen Aufschrei lesen: Schaut doch endlich einmal genau hin, Politiker und Wirtschaftswissenschaftler der Eurozone!

Beginnen wir mit den heute von Eurostat veröffentlichten Daten zum ““: “Nach ersten Schätzungen ergab sich für den Euroraum (ER17) im September 2012 ein Überschuss von 9,8 Mrd. Euro im Warenverkehr mit der restlichen Welt, gegenüber +1,7 Mrd. im September 2011.” Der Exportüberschuss 2012 hat sich also gegenüber dem Exportüberschuss 2011 sage und schreibe fast versechsfacht bzw. ist er um rund 480 Prozent (476,5%) gestiegen.

Eurostat hält in derselben Meldung auch Daten für die EU-27, die Europäische Union insgesamt also, für die Monate Januar bis August gegenüber Vorjahr bereit. Die EU-27 verbucht insgesamt zwar ein Defizit (-12,6 Mrd. Euro), nicht aber Deutschland und andere Eurostaaten:

“Bezüglich des Handels der einzelnen Mitgliedstaaten erzielte Deutschland den höchsten Überschuss (+125,3 Mrd. Euro im Januar-August 2012), gefolgt von den Niederlanden (+31,0 Mrd.) und Irland (+29,3 Mrd.). Das
Vereinigte Königreich (-101,2 Mrd.) verbuchte das größte Defizit, gefolgt von Frankreich (-56,5 Mrd.), Spanien (-23,8 Mrd.) und Griechenland (-10,2 Mrd.).” Hier weist Eurostat nur die Handelszahlen insgesamt aus (Intra-EU-Handel plus Extra-EU-Handel).

Interessant hierbei für weitergehende Überlegungen ist, dass das Ergebnis auf erneut gestiegenen Überschüssen bei Industrieerzeugnissen basiert, während sich das Defizit beim Handel mit Energieerzeugnissen ebenfalls erhöht hat. Eurostat:

“Das Defizit der EU27 beim Handel mit Energie erhöhte sich (-277,0 Mrd. Euro im Januar-August 2012 gegenüber -252,5 Mrd. im Januar-August 2011), ebenso wie der Überschuss für Industrieerzeugnisse (+232,9 Mrd.
gegenüber +154,5 Mrd.).”

Damit sind wir bereits bei der nächsten Meldung Eurostats, die am 14. November veröffentlicht wurde. Trotz der hohen Exportüberschüsse bei Industrieerzeugnissen, von denen insbesondere Deutschland profitiert haben dürfte, ist die im September 2012 gegenüber September 2011 um 2,3 Prozent gefallen, die in der EU-27 um 2,7 Prozent. Eurostat:

“Von den Mitgliedstaaten, für die Daten vorliegen, verzeichneten siebzehn eine rückläufige und sechs eine ansteigende Industrieproduktion. Die stärksten Rückgänge meldeten Irland (-12,8%), Portugal (-8,8%), Griechenland (-7,5%), Spanien (-7,0%) und Italien (-4,8%). Die höchsten Anstiege verzeichneten die Slowakei (+13,0%), Estland (+8,3%) und Litauen (+8,0%).”

Auch Deutschland zählt, obwohl es am meisten von den Industrieexportüberschüssen profitiert haben dürfte, zu den Verlierern in der Industrieproduktion: -1,6 Prozent.

Die Graphik zur Industrieproduktion zeigt darüber hinaus, dass die Produktion immer noch weit von ihrem Vorkrisenniveau (2007) entfernt ist.

Entwicklung der Industrieproduktion in der Eurozone und in der Europäischen Union (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Negativ, trotz hohem Exportüberschuss, fiel  auch die aus. Hier meldete Eurostat erst gestern:

“Im Vergleich zum entsprechenden Quartal des Vorjahres ist das saisonbereinigte BIP im dritten Quartal 2012 im Euroraum um 0,6% und in der EU27 um 0,4% gefallen, nach -0,4% bzw. -0,3% im Vorquartal.”

Interessant auch dieser Hinweis Eurostats in derselben Meldung:

“Im Vergleich zum Vorjahresquartal stieg das BIP in den Vereinigten Staaten um 2,3% (nach +2,1% im Vorquartal) und in Japan um 0,2% (nach +3,4%).”

Ein abschließender Blick in die Datenbank von Eurostat zeigt, dass Japan und die USA nicht nur bei der Wirtschaftsleistung besser abschneiden, als die durch Ausgabenkürzungen drangsalierte Eurozone. Seit 2010 haben sich die Arbeitslosenzahlen in den USA und Japan positiver entwickelt als in der Eurozone; auch Deutschland wird laut Prognose von Eurostat in diesem und im nächsten Jahr eine negativere Entwicklung bei den Arbeitslosenzahlen haben, als die USA und Japan.

Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in der Eurozone, in Deutschland, Japan und den USA (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Trotz hoher Exportüberschüsse Deutschlands wie der Eurozone insgesamt, wird die Endnachfrage (Ausgaben + Exporte) in Deutschland und der Eurozone voraussichtlich in diesem Jahr unter der der USA und Japans liegen; so verhält es sich laut Eurostat auch beim Wirtschaftswachstum.

Endnachfrage in der Eurozone, in Deutschland, Japan und den USA (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts in der Eurozone, in Deutschland, Japan und den USA (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Interessant auch vor dem Hintergrund, dass einige Politiker und sogar Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland trotz Rezession in der Eurozone Inflationsgefahren sehen, dass Japan, obwohl es eine deutlich stärkere Nachfrage ausweist, gemessen am Deflator des Bruttoinlandsprodukts immer noch in der Deflation verharrt – und die deutsche Inflation mit deutlich unter 2 Prozent allenfalls Deflationssorgen schüren müsste. Selbst auf Basis des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) meldete Eurostat gerade erst eine ; in Deutschland liegt die Inflationsrate nach dem HVPI aktuell bei 2,1 Prozent.

Preisentwicklung in der Eurozone, in Deutschland, Japan und den USA (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die Daten von Eurostat verweisen einmal mehr darauf, dass die Eurozone und insbesondere Deutschland unter fehlender Binnennachfrage leiden; bezeichnend in diesem Zusammenhang auch, dass Eurostat, ebenfalls im November, einen ; dass Deutschland und die Eurozone insgesamt trotz hoher Exportüberschüsse in die Rezession trudeln zeigt, dass die europäische Politik, die auf Ausgabenkürzungen und Exportüberschüsse setzt, die Eurokrise nicht löst, sondern verschärft. Die Ausgabenüberschüsse müssten stattdessen deutlich steigen, die Exportüberschüsse respektive zurückgehen, damit der Euroraum aus der Krise herauswachsen und die Arbeitslosigkeit gesenkt werden kann. Das deutsche Exportüberschussmodell ist dagegen zum Scheitern verurteilt.

Entwicklung des Einzelhandelsumsatzes in der Eurozone und in der Europäischen Union (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

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