Erfolgreiche Steuerfahnder = Gefahr für die Wirtschaft? – Münchau liegt schon wieder komplett daneben

Vorsichtshalber warnt Kolumnist Wolfgang Münchau seine Leser schon einmal: “Bevor Sie, liebe Leserin, lieber Leser, jetzt hyperventilieren, lassen Sie mich bitte erklären.” Man muss ja nicht gleich hyperventilieren, aber Münchau liegt schon wieder komplett daneben, wenn er schreibt:

“Der unabsichtlich koordinierte Kampf gegen illegale Steuerhinterziehung und legale Steuervermeidung hat mittlerweile eine Größenordnung erreicht, die makroökonomisch relevant ist. Aus  wirtschaftswissenschaftlicher Sicht handelt es sich nämlich um eine Steuererhöhung…Genau genommen ist der erfolgreiche Kampf gegen die Steuerflucht eine Erweiterung der Steuerbasis – mehr Leute zahlen mehr Steuern auf mehr Einkommen, Vermögenswerte oder Transaktionen.”

Verkehrte Welt! Da die Deutschen ja zumeist nach Autoritäten gieren, sei hier zunächst aus dem Lehrbuch “Makroökonomie” zitiert, das der frühere Professor für Volkswirtschaftslehre am renommierten Massachusetts Institute of Technology und heutige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), Olivier Blanchard, gemeinsam mit dem Münchner Lehrstuhlinhaber Gerhard Illing verfasst hat:

“Die Einnahmen aus der Einkommenssteuer ergeben sich als Produkt aus dem Steuersatz auf das Einkommen und dem Einkommen – der Steuerbasis.”

Wenn nun ein Teil dieses Einkommens nicht versteuert, sondern mit krimineller Energie durch Steuerflucht bzw. Steuerhinterziehung geschmälert, die Steuerbasis also auf illegale Weise verringert wird, erhöht sich die, nennen wir sie zur Sicherheit “legale” Steuerbasis doch nicht; die “illegal” reduzierte Steuerbasis wird lediglich auf das gesetzlich vorgeschriebene Maß zurückgeführt. Stellt man sich die legale Steuerbasis wie einen Schweizer Käse vor – passt doch auch irgendwie – werden mit jeder erfolgreichen Steuerfahndung Löcher, die die Steuerflüchtlinge bzw. Steuerhinterzieher in diesem Käse hinterlassen haben, gestopft; größer oder erweitert wird der Käse aber nicht. Es ist also Käse, was Münchau schreibt.

Münchau setzt gewissermaßen Steuerkriminalität als Normalität voraus, wenn er schreibt:

“Die kleinen Unternehmer fahren nicht mehr in die Schweiz, sondern zahlen jetzt brav ihre Steuern. Die Schweiz ist zu riskant geworden. Damit erhöht sich für sie der effektive Grenzsteuersatz von Null auf 45 Prozent, je nach Einkommen und Umstände, plus Zinssteuern. Damit reduziert sich für sie das verfügbare Einkommen. Sie werden weniger konsumieren oder investieren.”

Wie niedlich: “die kleinen Unternehmer”! Und dann darf natürlich auch die Annahme nicht fehlen, dass diese armen  “kleinen Unternehmer” dann “weniger konsumieren oder investieren”.

Einmal abgesehen davon, dass nicht alle, vielleicht sogar die wenigsten Steuerflüchtlinge, “kleine Unternehmer” sind, so lassen deren schmale Gewinne (Steuerbasis) häufig gar keine Gedanken zur Steuerflucht aufkommen; es dürften vielmehr richtig “große Fische” sein, die den Steuerfahndern an die Angel geraten; aus hohen Einkommen wird aber bekanntlich wenig konsumiert; und investiert haben sie ja offensichtlich auch nicht übermäßig – im Gegenteil, die Unternehmen bilden Überschüsse – unter den Bedingungen einer “illegalen” Steuerbasis; die Bruttoanlageinvestitionen haben sich nach den massiven Unternehmenssteuersenkungen in Deutschland nicht eben gerade positiv entwickelt, auch nicht im internationalen Vergleich mit Ländern mit höheren Steuersätzen. Und: Auch Der Staat kann natürlich nur in dem Ausmaß konsumieren und investieren, in dem Steuern geazhlt werden!

Für die Ökonomen: Münchau ist offensichtlich immer noch ein Anhänger der so genannten Laffer Kurve bzw. des Laffer-Theorems, nach dem Steuersenkungen die Leistungsbereitschaft fördern und über mehr Wachstum und Beschäftigung auch das Steueraufkommen erhöhen. Hohe Grenzsteuersätze, wie sie auch Münchau anführt, erhöhen nach diesem System den Anreiz, Steuern zu hinterziehen. Reagan ist damals Laffer gefolgt mit dem Ergebnis eines hoch defizitären Staatshaushalts und eines weltweiten Steuerdumpingwettlaufs.

Und um zu zeigen, dass so ziemlich gar nichts stimmt in Münchaus Beitrag, sei auch dies noch zitiert und kommentiert:

“Dass Menschen ihren fairen Beitrag für das Gemeinwohl zahlen müssen, ist rechtlich, politisch und moralisch richtig. Aus gesamt-ökonomischer Sicht hingegen ist die Sache komplexer. Es war schließlich die gesellschaftliche Akzeptanz der Steuerhinterziehung und der Steuervermeidung, die dazu führte, dass bei uns die offiziellen Steuersätze so hoch sind.”

Zum einen: Welche gesellschaftliche Akzeptanz?! Es war allenfalls eine Akzeptanz der Politik, die zuweilen soweit ging, dass sie erfolgreiche Steuerfahnder aus dem Verkehr zog. Die normale Bevölkerung, die braven Steuerzahler haben den Steuerunfug, den die Politik sich in den vergangenen Jahrzehnten erlaubt hat – massive Spitzensteuer- und Unternehmenssteuersenkungen bis hin zu Steuerbefreiung -, bestimmt nicht für gut befunden; sie mussten es allenfalls notgedrungen akzeptieren, nicht zuletzt ordentlich manipuliert durch Politik, Lobby-Verbände und, ja und: durch die Medien!

Zum anderen: Die Steuersätze sind bei uns nicht hoch. Wie kommt Münchau nur darauf? Die Unternehmenssteuersätze in Deutschland sind von 56,6 Prozent 1998 auf 29,4 Prozent 2009 gesunken; in Brasilien zahlten Unternehmen 2009 34 Prozent, in den USA 40 Prozent – in der EU im Durchschnitt 23,2 Prozent; aber stehen jene Länder mit niedrigeren Unternehmenssteuersätzen in der EU und der Eurozone etwa besser da, bei der Infrastruktur, bei Wachstum und Beschäftigung? Selbst das Bundesministerium der Finanzen weist in einer aktuellen Veröffentlichung – “Die wichtigsten Steuern im Internationalen Vergleich 2011, Ausgabe 2012″ – darauf hin:

“Es sei darauf hingewiesen, dass hohe Abgabenquoten meist gut ausgebaute Sozial- und Altersversicherungssysteme finanzieren, für die ansonsten private Mittel aufgewandt werden müssten.”

Und, wie sollte es anders sein:

“Die deutsche Steuerquote ist im Vergleich zum Vorjahr leicht von 22,6 % auf 22,1 % gesunken. Auch hier rahmen die USA im unteren und Dänemark am oberen Rand das Feld der Vergleichsstaaten ein.”

Körperschaftsteuersätze 2011 – Standardsätze in Prozent (ohne Zuschläge und Steuern der nachgeordneten Gebietskörperschaften) (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Bei den Körperschaftssteuersätzen liegen nach den Zahlen des Bundesfinanzministeriums im internationalen Vergleich nur noch die Schweiz, Bulgarien, Zypern und Irland unter denen in Deutschland. Wollen wir aber mit Irland oder Zypern tauschen? Tschüß!

Auch die tarifliche Belastung durch Körperschaftssteuern, Gewerbeertragssteuern, und vergleichbare andere Steuern in Deutschland kann sich international sehen lassen; in Deutschland liegt sie unter der in Spanien, Belgien, Frankreich, Italien, Malta, ja selbst den USA (Staat New York).

Schließlich liegt Deutschland auch bei den Einkommenssteuerspitzensätzen weit unter denen der USA (Staat New York), Irland, Finnland, Japan, Österreich Portugal, England, Frankreich, Dänemark, Niederlande, Belgien und Schweden. Genug der Empirie. Liebe Leserin, lieber Leser, also, tun Sie mir den gefallen: Hyperventilieren sie bei Herrn Münchau. Danke!

Tarifliche Belastung des Gewinns von Kapitalgesellschaften 2011 (nominal) in Prozent (Körperschaftsteuern, Gewerbeertragsteuern und vergleichbare andere Steuern des Zentralstaats und der Gebietskörperschaften) (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Einkommensteuerspitzensätze der Zentralstaaten und der Gebietskörperschaften sowie sonstige Zuschläge 2010 (in Prozent) (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

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