Eurokrise/Europaausschuss des Deutschen Bundestages: Gunther Krichbaum braucht dringend Nachhilfe

Das heute früh im Deutschlandfunk von Christiane Kaess geführte Interview mit dem Vorsitzenden des Europaausschusses, Gunther Krichbaum, hat durchaus Modellcharakter für die deutsche Europapolitik.

Krichbaum ist Wirtschaftsjurist. Nun könnte man durchaus so weit gehen, dass Wirtschaftskriminalität vor dem Hintergrund der deutschen Europapolitik eine ganz neue Bedeutung erfährt. Wobei sittenwidrige Löhne schließlich auch nach herkömmlicher Rechtsprechung strafbar sind (Straftatbestand des Lohnwuchers). Letztere werden besonders häufig in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gezahlt. Und die wiederum sind Ergebnis der “Reformen”, die Krichbaum stellvertretend für CDU/CSU und FDP auch für Frankreich einfordert. Hinzuzählen muss man zu diesem Parteienreigen fairerweise auch die SPD, die eben das zehnjährige Bestehen dieser “Reformen” erst wieder mächtig gefeiert hat, vorneweg die SPD-Spitze Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, und diesen auch in ihrem Bundestagswahlprogramm überschwängliches Lob zollen.

Das dollste gab es schon vorneweg zu hören: Angeblich ist Finanzminister Wolfgang Schäuble tatsächlich zu der Einsicht gelangt: “Natürlich spart man nicht in eine Krise hinein – wenn ein konjunktureller Abschwung droht, nimmt man steigende Defizite in Kauf.” Wie jetzt auch Die Welt berichtet. Das ist angesichts seines bisherigen Verhaltens in der Eurokrise natürlich eine unverschämte Behauptung und unglaubwürdig. Vielleicht denkt Schäuble ja schon ans Geschichtsbuch und beginnt vorsichtshalber die Geschichte, die ihm sicherlich nicht zum Vorteil gereichen wird, zu verdrehen. Schäuble hat bisher genau gegenteilig gehandelt und gesprochen. Auch Krichbaum vertritt vom Grundsatz her das genaue Gegenteil, will aber Schäuble in seiner oben zitierten Aussage auch nicht “widersprechen”. Er tut es inhaltlich aber doch. So, wie Schäuble sich mit seiner Aussage selbst wiedersprochen hat. Krichbaum:

“…man muss eben immer auch darauf hinweisen: Das, was man jetzt Frankreich zugesteht oder anderen Ländern zugestehen will, das muss man eben auch allen zugestehen, und da erinnere ich nur etwas an die Geschichte, denn der Stabilitätspakt wurde seinerzeit 2003, 2004 aufgeweicht durch Schröder, durch Chirac, also sprich durch Deutschland und Frankreich, und andere Länder folgten dann diesem schlechten Beispiel.”

Die Moderatorin wiederum füttert Krichbaum mit Fragen wie der folgenden mundgerecht, Verschlucken ausgeschlossen:

Kaess: Ja, aber Herr Krichbaum, wenn es so ist, wie Sie es gerade dargestellt haben, dass die Krise in Frankreich selbst verschuldet ist, dann sollte doch die Bundesregierung Frankreich nicht mehr Zeit zum Sparen geben, oder?

Krichbaum: Also wir sollten hier differenzieren, das heißt, man kann mehr Zeit zum Sparen geben, aber die Frage ist ja dann, was passiert mit dieser Zeit, und vor allem, was passiert dann mit diesem Geld. Werden diese haushaltspolitischen Spielräume, die ja dann geschaffen werden, werden diese eben investiert oder wird hier konsumiert? Und das ist eben die spannende Frage. Hier muss dann an der Stelle die Kommission ganz genau draufschauen, und wie gesagt, bei allen Sonderwegen bin ich da sehr skeptisch, weil zunächst einmal dann auch geschaut werden muss, wie wird dann mit dem Geld und wie wird mit dem Spielraum umgegangen.”

Richtig auf den Punkt – aus seinem Blickwinkel und dem der Bundesregierung, die doch plötzlich vorgibt, nicht mehr in der Krise sparen zu wollen – bringt Krichbaum es dann mit diesen Sätzen:

“Weil wir dürfen eben nie vergessen: Worin hatte die Krise ihren Ursprung? Gerade hier in Europa war es eine Vertrauenskrise. Die internationalen Finanzmärkte hatten ihre Zweifel daran, ob bestimmte Staaten ihren Rückzahlungsverpflichtungen würden nachkommen können. Und deswegen muss genau dort angesetzt werden, dieses verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewonnen werden. Das erringt man am besten dadurch, dass man glaubwürdige Haushalte aufstellt, dass man eben auch die Signale gibt”

Für Krichbaum beginnt die Krise also erst, nachdem die Staaten die Banken gerettet hatten und sich dafür hatten verschulden müssen, worauf “die internationalen Finanzmärkte” ihr Vertrauen verloren. Deswegen versteht Krichbaum die Eurokrise auch als “Vertrauenskrise”. Aus diesem Unverständnis heraus kann er, auf die Ursachen der Krise angesprochen, auch widerspruchslos beklagen, dass “gerade auch in Frankreich die Lohnstückkosten sehr nach oben gegangen” seien und “Frankreich insgesamt an Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten verloren” habe. Dass es Frankreich – im Gegensatz zu Deutschland – gelungen ist, über den gesamten Zeitraum der Währungsunion nahezu eins zu eins das Stabilitätsziel der Europäischen Zentralbank, eine Inflationsrate von “nahe unter zwei Prozent”, einzuhalten, ist Krichbaum ganz offensichtlich bis heute entgangen. Sollte er aber darauf bis heute tatsächlich nicht geschaut haben, ist ihm als Vorsitzenden des Europaausschusses tatsächlich der Dreh- und Angelpunkt der Eurokrise entgangen. Seine Sätze belegen darüber hinaus, dass er die von ihm bemühte “Wettbewerbsfähigkeit” nicht im Ansatz verstanden hat.

Und genau das gibt dem Interview “Modellcharakter” für die deutsche Europapolitik: Die haushaltspolitischen Scheuklappen liegen so eng auf den Augen, dass sie alles darum herum verdunkeln.

Nichts passt zusammen bei Krichbaum, nichts ist stimmig und von irgendeiner empirischen Evidenz getragen. Krichbaum verneint schließlich, dass Deutschland mit “seinem strikten Sparkurs bald alleine” dastünde. Das aber ist gar nicht maßgeblich. Maßgeblich wird sein, ob sich die davon betroffenen Länder wie Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, Griechenland und Irland mehr und mehr offensiv dagegen wehren. Und maßgeblich ist bereits, dass sich die vertiefende Rezession, in die die Eurozone gerade auch durch die deutsche Europapolitik gedrängt worden ist, immer mehr auch Deutschland erreicht. Zunehmend wird darüber auch hierzulande sichtbar werden, dass all die “Reformen” (Agenda 2010), die Deutschland jetzt seinen europäischen Nachbarn aufzuzwingen sucht, verfehlt waren und das eigentliche Problem ausblendeten: die Konjunktur.

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.



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