Flut-Drama/”linker” Journalismus/Wachstum: Augstein nutzt Flut-Katastrophe für Generalangriff auf “Wachstumsprediger” – er scheitert kläglich

“Im Zweifel links”, heißt die Spiegel online Kolumne des Journalisten Jakob Augstein, der auch die Wochenzeitung der freitag herausgibt. Aber Augstein kennt gar keinen Zweifel. Jedenfalls nicht in seinem jüngsten Wurf. Er nutzt darin die Flut-Katastrophe zum Generalangriff auf “Wachstumsprediger”. So nennt Augstein diejenigen, die noch meinen, dass Wirtschaftswachstum eine Rolle spielt. Die Flut-Katastrophe schiebt er kurzerhand diesen Unbelehrbaren in die Schuhe. “Die Katastrophe klärt den Blick”, schreibt Augstein einleitend. Das aber kann man von seinem Text nun wirklich nicht behaupten.

Augstein ist weder Ökonom noch Naturwissenschaftler und doch ist für ihn alles klar. Beweise braucht er nicht. Beweise sind etwas für “Klimawandelleugner”: “Welchen Beweis brauchen die Klimawandelleugner, bevor ihnen die Augen aufgehen? Was muss geschehen, damit die Wachstumsprediger dazulernen? Keiner von ihnen wird später sagen können, er habe nichts gewusst.” So Augstein. Wovon aber weiß Augstein etwas?

Augstein bemüht einen FDP-Politiker, der sich für “Wachstum, Wachstum, Wachstum” ausspricht, um Wachstum als Wurzel allen Übels in Bausch und Bogen zu verdammen. Er wirft den “Klimawandelleugnern” “intellektuelle Stagnation” vor und beweist mit seinem Text doch selbst nur, wie intellektuelle Stagnation auch auf dem anderen politischen Pol ausschaut:

“Die Wachstumsprediger und die Klimaleugner tappen in die Falle des Vulgär-Liberalismus: Sie verwechseln Freiheit mit Verantwortungslosigkeit. Aber wer will schon gerne Verantwortung übernehmen?”

Verantwortung übernehmen hieße aber in diesem Zusammenhang doch wohl erst einmal selbst über Zusammenhänge aufzuklären. Das aber ist Augsteins Sache nicht. Er springt, fast so, als würde er selbst von der Flut der Ereignisse mitgerissen und versuche sich von Sandsack zu Sandsack zu retten, von Fukushima zum “System der Verschuldung”, in das “wir immer noch mehr Geld hineingepumpt” haben (das hätte ein konservativer Wachstumsfetischist genauso formuliert), zur Evolutionsbiologie.

Er darf und wird sich dabei sicher sein, auf große Zustimmung bei seiner Leserschaft zu stoßen. Denn Wachstumsfeindlichkeit genießt hohes moralisches Ansehen in vermeintlich “linken” Leserkreisen. Damit aber macht “die Linke” es ihrer journalistischen und politischen Konkurrenz, wenn auch sicherlich ungewollt, denkbar einfach, weiter so zu machen wie bisher – indem sie es sich nämlich selbst ein wenig zu einfach macht, oder, wie Augstein es nennt, “intellektuell stagniert”, schlimmer noch, hinter bereits gewonnene Erkenntnisse zurückfällt.

Was ist die Alternative? Greifen wir dazu einen berechtigten Vorwurf Augsteins heraus:

“Und erinnern Sie sich an die Flut von 2002? Damals hatte eine Kommission empfohlen, der Elbe mindestens 12.000 Hektar Land freizumachen. Damit sie es nicht so eng habe in ihrem Bett und endlich Raum, schadlos über die Ufer zu treten. Man wusste schon damals, dass Extremwetterlagen zunehmen würden und dass erwärmte Luft mehr Wasser tragen kann. Aber was geschah? Keine 20 Prozent dieser Fläche wurden realisiert.”

Völlig einverstanden soweit. Nur – konstruktiv gewendet und Zusammenhänge aufzeigend – wäre zu ergänzen: Jene “12.000 Hektar Land frei zu machen” hätte natürlich Wirtschaftswachstum bedeutet. Oh Gott, oh Gott, was nun Herr Augstein? Doch lieber alles so lassen wie es war? Jene “12.000 Hektar Land frei zu machen” hätte auch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Vielleicht hätten Straßen, Eisenbahnen umgeleitet, neue Brücken und Wohnanlagen gebaut werden müssen, vielleicht hätte dies einem neuen, “sanften” Tourismus neue Chancen eröffnet. Man hätte dies dazu nutzen können die Bahn gegenüber der Straße zu privilegieren, neue Wohnanlagen klimaschutzgerecht zu bauen. Und und und. Viel mehr Wachstum wäre darüber aller Voraussicht nach entstanden als bei dem von Augstein zurecht kritisierten Vorgehen, einfach nur die Deiche zu erhöhen. Vielleicht wäre dies alles sogar wert gewesen, sich dafür zu verschulden, “in ein System der Verschuldung noch mehr Geld” hineinzupumpen.

Wie man sieht, könnte die Krise tatsächlich helfen, den Blick zu klären. Vielleicht schreibt Augstein, wenn die Flut bis zu seiner nächsten Kolumne hoffentlich abgeebbt ist, über den notwendigen Wiederaufbau und die hoffentlich großzügig ausfallende soziale Unterstützung der Flutopfer. Auch wenn diese Hilfe notwendigerweise Wirtschaftswachstum nach sich zieht, wird Augsten den Betroffenen doch nicht wirklich die Unterstützung versagen wollen, genauso wenig – um noch ein anderes grausames Schicksal zu nennen – wie den Millionen Arbeitslosen in Europa, die verzweifelt auf Wachstum warten, um von ihrer Not erlöst zu werden.

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.


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