Debatte/Wettbewerbsfähigkeit: Sinn hat in einem Punkt Recht – nur seine Rückschlüsse sind falsch bzw. einseitig

Es gibt eine interessante Internetseite, die ökonomische Thesen und Berichterstattungen gekonnt und allgemeinverständlich hinterfragt und Zusammenhänge aufzeigt. Was wir ja auch regelmäßig versuchen. Sie heißt WeitwinkelSubjektiv und wird von André Kühnlenz herausgegeben. Gestern nun hat er einen Beitrag verfasst, in dem er eine These des bekannten Ökonomen Hans-Werner Sinn aufgreift und kritisiert. Über die Hinweise der bin ich auf ihn gestoßen. Sogleich ist mir in diesem Fall ein in meinen Augen grundsätzlicher Fehler in der Herangehensweise von Kühnlenz aufgefallen, deswegen wohl, weil ich diesen Fehler in ähnlichem Zusammenhang vor geraumer Zeit bereits dem Bundesfinanzministerium vorgehalten hatte. Vielleicht der Stoff für eine weiterführende Debatte.

“Eine beliebte These von Hans-Werner Sinn geht so”, schreibt Kühnlenz einleitend:

“Spanien, Griechenland und Portugal müssen längerfristig im Vergleich zum Durchschnitt der Eurozone um etwa 30 Prozent billiger werden, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und selbst Frankreichs Preise müssen um 20 Prozent gegenüber dem Durchschnitt fallen.”

Kühnlenz hält dem die Frage entgegen: “Wie kann es dann aber sein, dass Spanien seit der Finanzkrise die Ausfuhr genau so stark steigert wie Deutschland?”

Und zitiert noch einmal Sinn, der Kühnlenz entgegnete:

“Die sind ja gar nicht so stark gestiegen, die spanischen Exporte sind noch nicht wieder auf dem Trendniveau. Das war ja 2009 alles in den Keller gegangen. Beim Trend ist auch in Spanien noch nicht wieder angekommen. Wenn wirklich eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit dahinter stünde, würden wir mindestens doch mal das Trendniveau wieder erreichen. Das ist in keinem Land passiert. Schon gar nicht in Spanien. Ein signifikantes Zeichen, dass da eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit da wäre, sieht man nicht. Es ist wirklich so, ohne eine reale Abwertung, die Änderung der relativen Preise, ist eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit nicht herzubringen.”

Kühnlenz meint nun Sinns Argument empirisch entkräften zu können, indem er die Exporte Deutschlands, Spaniens und der Eurozone abbildet. Sein Ergebnis (siehe dazu auch seine Graphik in seinem Text):

“In den vergangenen fünf Jahren hat kein großes Euroland seine Export so stark gesteigert wie Spanien. Warum nur fordert dann Hans-Werner Sinn, das Land müsse seine Löhne und Preise um 30 Prozent senken?”

Die Antwort auf Kühnlenz Frage ist nicht schwer, sobald man nämlich nicht den von ihm gewählten Ausgangspunkt (2008=100) heranzieht, sondern den Beginn der Währungsunion. Um mich dessen zu vergewissern habe ich beide Berechnungen einmal durchgeführt; anders als Kühnlenz habe ich jeweils das 1. Quartal (1999 und 2008) gleich 100 gesetzt. Bei der Berechnung 2008=100 komme ich zum selben Ergebnis wie Kühnlenz. Das Ergebnis 1999=100 aber zeigt, wie weit sich die Länder bei den Exporten auseinander entwickelt haben. Dem zugrunde liegen die nach wie vor trotz “realer Abwertung” Spaniens im Rahmen der Austeritätspolitik nicht angeglichenen Lohnstückkosten (siehe hierzu die Graphik der Lohnstückkosten unten im Text). Es zeigt in meinen Augen zugleich auch noch einmal, wie verfehlt es ist, zu meinen, andere Länder könnten dem Beispiel Deutschlands folgen und über mehr Wettbewerbsfähigkeit zu ähnlichen Exportergebnissen kommen und damit ihre Volkswirtschaften wieder auf den Wachstumspfad bringen, wie es die Bundesregierung besonders vehement vertritt.

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Und noch eines zeigt die Graphik 1999=100: Sinn hat zum einen – doch das ist nur ein kleiner Irrtum – Unrecht, dass Spaniens Exporte noch nicht wieder auf dem “Trendniveau” seien. Dazu haben wir den linearen Trend mit in die Graphik hereingenommen, der zeigt, dass die spanischen Exporte wieder auf “Trendniveau” liegen. Sinns Grundirrtum bzw. Anmaßung besteht jedoch in seiner Sicht, dass die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit nur über die Anpassung bzw. “reale Abwertung” in den “Krisenländern” zu erfolgen hat, nicht aber auch von deutscher Seite durch eine “reale Aufwertung”. Gerade die Exportentwicklung – wie die Entwicklung der ihr zugrundeliegenden Lohnstückkosten – zeigt aber, wie sehr gerade Deutschland sich von der Entwicklung in der Eurozone abgekoppelt hat. Berücksichtigt man, dass Frankreich sich als einzige größere Volkswirtschaft an das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank gehalten hat, dessen Einhaltung für eine ausgeglichene Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des gemeinsamen Währungsraums entscheidend ist, fällt die Abweichung Deutschlands besonders auf.

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Insofern fand ich es auch interessant, dass Kühnlenz, neben der bekannten Abbildung der Lohnstückkosten, nun einmal auf die Exportentwicklung aufmerksam gemacht hat. Nur seine Berechnungsgrundlage (2008=100) und die daraus resultierenden Schlüsse halte ich für falsch, weil sie die seit Bestehen der Währungsunion entstandene Differenz in der Wettbewerbsfähigkeit nicht abbildet.

11.08.2013: Auf der facebook-Seite von Wirtschaft und Gesellschaft hat André Kühnlenz jetzt den Beitrag unter dem Eintrag dort kommentiert. Ich habe wiederum einige Überlegungen und Graphiken ergänzt:


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