Arbeitsmarkt: Alarm – Fachkräftemangel im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und in der Bundesagentur für Arbeit

Heute hat die frisch gebackene Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die ebenfalls heute von der Bundesagentur für Arbeit veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen für den Dezember des vergangenen Jahres kommentiert. Ein Neuling allerdings ist sie nicht auf diesem Feld. Und doch ist gegen ihren “Wetterbericht” über den Arbeitsmarkt der des meteorologischen Dienstes ein Hort der Wahrheit und Zuverlässigkeit. Kein Grund übrigens für die einschlägigen Medien, ihre Fehler nicht wiederzukäuen.

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Seit über 15 Jahren mache sie Arbeits- und Sozialpolitik freute sich Nahles nach ihrer Inauguration als Bundesministerin für Arbeit und Soziales auf ihrer . Was hat sie nur die ganzen Jahre gemacht? Heute meinte sie nämlich die Arbeitsmarktzahlen für Dezember mit den Worten kommentieren zu können: “Die Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass die Beschäftigungssituation für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wetterfest ist.” In der Pressemitteilung heißt es dazu erläuternd: “Im Dezember waren rund 2.873.000 Menschen arbeitslos. Das sind 67.000 mehr als im November. Angesichts des milden Winterwetters fällt der Anstieg geringer aus als in den Vorjahren.”

Das ist zwar auf den ersten Blick richtig. Warum aber stieg die Zahl der Arbeitslosen 2007 im entsprechenden Vormonatsvergleich nur um 28.331, 2006 gar nur um 12.368? Selbst im Krisenjahr 2009 mit Kälterekorden stieg die Zahl der Arbeitslosen im Dezember gegenüber Vormonat um im Vergleich zum Dezember 2013 geringe 60.118.

Zwar ist es richtig, dass ein milderes Winterwetter die Arbeitslosigkeit bzw. Beschäftigung positiv beeinflusst. Man denke nur an den Bausektor. “Wetterfest” wäre die Beschäftigungssituation dann doch aber gerade nur, wenn die Arbeitslosenzahlen bei kaltem Winterwetter nicht in die Höhe schnellten, erst recht nicht bei mildem. So ist Nahles “Wetterbericht” nicht einmal in sich stimmig.

Entscheidend aber ist, dass Nahles die Arbeitslosigkeit zwar zum Wetter, nicht aber zur Konjunktur ins Verhältnis setzt. Die Worte Konjunktur, Wirtschaftswachstum oder Wirtschaftsentwicklung tauchen in ihrer Pressemitteilung überhaupt nicht auf. Damit setzt die neue Arbeitsministerin eine unselige Tradition fort, die sie mit der Agenda 2010 selbst mit eingeläutet hat: Arbeitslosigkeit und Beschäftigung losgelöst von der wirtschaftlichen Aktivität, der Konjunktur, zu analysieren und zu bewerten.

Hätte sie stattdessen die Arbeitslosigkeit und Beschäftigung auf die Konjunkturentwicklung bezogen, hätte sie sich wohl nicht so schnell zu einem “Ein guter Start für 2014!” hinreißen lassen, wie heute auf der Pressekonferenz.

So ist nach unseren Berechnungen das Wirtschaftswachstum bereits seit dem vierten Quartal 2012 nicht mehr angemessen, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Stand 2012 bereits eine Null vor dem Komma beim realen Wirtschaftswachstum, wird die Nachkommastelle 2013 vor der Null womöglich noch einmal niedriger ausfallen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt mit 6,7 Prozent weit über den drei Prozent, die gewöhnlich als Vollbeschäftigung angesehen werden. Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse, auch der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, ist unter Berücksichtigung der Beschäftigungsarten, ebenfalls kein Grund davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt gut ins Jahr 2014 gestartet ist. Um das festzustellen, müsste die Bundesarbeitsministerin nur einmal die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und des ihr eigenen Forschungsinstituts IAB über die Entwicklung von Vollzeit-, Teilzeit und Nebenjobs seit 1991 bis heute auswerten oder auswerten lassen. Zu denken geben sollte ihr auch, dass sich die Löhne nach einer relativ kurzen Erholungsphase bereits wieder nicht verteilungsneutral (Produktivität+Inflationsziel der Europäischen Zentralbank) entwickeln.

Das alles interessiert die nach Jahren gerechnet erfahrene, aber ganz offensichtlich unwissende, uninteressierte oder aber nur am Schönfärben interessierte neue Bundesarbeitsministerin nicht. Genausowenig wie der fern jeder Statistik leicht feststellbare Sachverhalt, dass trotz eines angeblich “wetterfesten” Arbeitsmarktes, Millionen Menschen hunderte – das ist nicht übertrieben – Bewerbungen schreiben, ohne je einen Arbeitsplatz zu bekommen oder von Zeitarbeitsvertrag zu Zeitarbeitsvertrag zittern. Darunter viele, viele Akademiker mit guten Abschlüssen. Um das zu erfahren, müsste sich die Bundesarbeitsministerin wohl nur einmal in ihrem Wahlkreis etwas umhören. Mir selbst begegnen solche Menschen regelmäßig beim Spazierengehen, oder ich bekomme solche Fälle von Freunden und Bekannten erzählt.

Vielleicht ihr einziger Trost, aber gewiss nicht der von Millionen Arbeitslosen und prekär Beschäftigten, Teilzeitkräften und in Nebenjobs Tätigen, ist, dass es ihr Kollege, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Jürgen Weise, auch nicht besser weiß.

“Arbeitslose partizipieren nur teilweise vom Beschäftigungsplus”, erklärte Weise. Grund dafür sei, dass die Profile der Arbeitslosen oftmals nur unzureichend zur Fachkräftenachfrage passten. Besonders gesucht waren 2013 Fachleute in den Bereichen Mechatronik, Energie und Elektro, Verkehr und Logistik sowie Verkauf und Gesundheit.

Und im heute veröffentlichten Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit heißt es entsprechend (kursive Hervorhebung, T.H.):

“Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist sehr stabil. Seine gute Grundverfassung zeigt sich an der weiter zunehmenden Kräftenachfrage: Erwerbstätigkeit und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wachsen kontinuierlich, und auch der Indikator für die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern, der BA-X, war zuletzt aufwärts gerichtet. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben im Dezember saisonbereinigt leicht abgenommen. Aber das geringe Maß, in dem Arbeitslose vom Beschäf-tigungsaufbau profitieren, offenbart strukturelle Probleme bei der Jobsuche.”

Auch für die Bundesagentur für Arbeit und ihren Vorsitzenden ist die Konjunktur kein Thema, sieht man einmal von Sätzen wie diesen einleitenden des Monatsberichts ab:

“Die deutsche Wirtschaft befindet sich zurzeit auf einem flachen Aufwärtspfad.”

Dabei stößt sie allein der von ihnen erkannte Sachverhalt, dass die Arbeitslosen nur in einem geringen Maß vom Beschäftigungsaufbau profitieren, und dass nur wenige Berufssparten “besonders gesucht” sind, doch mit der Nase drauf: Es gibt keinen breiten konjunkturellen Aufschwung, der den Arbeitsmarkt insgesamt beleben könnte. Nicht nur ist die Zahl der Arbeitslosen im Dezember gegenüber Vorjahresmonat gestiegen, auch sind die offenen Stellen gegenüber Vorjahresmonat gesunken.

Das alles verweist auf einen alarmierenden Fachkräftemangel im Bundesministerium für Arbeit und Soziales und in der Bundesagentur für Arbeit.

Hintergrund:

Konjunktur/Deutschland: Die Spannungszahl Dezember und eine Einschätzung der Konjunktur in Deutschland (im Abonnement)

Arbeitsmarkt: “Rekordhoch”? (im Abonnement)

“Arbeitskosten” drittes Quartal 2013: Verteilungsspielraum ausgeschöpft? (im Abonnement)

Ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland angemessen? (im Abonnement)

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