Draghi unterstreicht unsere gestern vorgenommene Einschätzung zur Inflation – und liegt mit seiner wirtschaftspolitischen Einschätzung vollständig daneben

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat in seinen einleitenden Bemerkungen zur Pressekonferenz gestern unsere zuvor vorgenommene Einschätzung zur Inflation bestätigt.

“Auf der Grundlage der verfügbaren Daten und der derzeitigen Terminpreise für Öl ist davon auszugehen, dass die jährlichen HVPI-Inflationsraten in den kommenden Monaten niedrig bleiben und zum Ende des Jahres hin steigen werden, was auch mit den Basiseffekten aufgrund des Ölpreisrückgangs Ende 2014 zusammenhängt.”

So Draghi gestern. Seine wirtschaftliche Analyse wiederum bestätigt unsere ebenfalls im selben Beitrag erwähnte Kritik an den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der EZB, die deckungsgleich mit denen der EU-Kommission, des IWF und der Bundesregierung sind. Draghi:

“Allerdings dürften die erforderlichen Bilanzanpassungen in einer Reihe von Sektoren sowie die langsame Umsetzung von Strukturreformen das Wirtschaftswachstum im Euroraum erneut dämpfen.”

Es verhält sich genau umgekehrt: Die Länder, die am radikalsten Draghis wirtschaftspolitischen Vorstellungen gefolgt sind, haben weiterhin am stärksten mit der daraus resultierenden wirtschaftlichen Depression zu kämpfen. Draghi und mit ihm die anderen verantwortlichen Institutionen wollen bis heute nicht anerkennen, dass ihre Maßnahmen einen wirtschaftlichen Einbruch historischen Ausmaßes nach sich gezogen haben, von denen sich die davon betroffenen Länder wie die Europäische Währungsunion insgesamt bis heute kaum erholt haben (siehe dazu auch hier). Dafür spricht auch, dass Draghi von “struktureller Arbeitslosigkeit” spricht, diese also den Rahmenbedingungen für die Wirtschaft (Regulierung des Arbeitsmarkts, soziale Sicherungssysteme) zuschreibt, und dabei völlig verkennt, dass die Arbeitslosigkeit konjunktureller Natur ist, wie wir in ausführlichen Analysen immer wieder nachgewiesen haben.

Es ist aber nicht nur empirisch evident, dass die wirtschaftspolitischen Vorstellungen Draghis seine im Kern richtige Geldpolitik konterkarieren, in dem sie kontraktiv auf die wirtschaftliche Aktivität wirken; es ist auch theoretisch zwingend, das Ausgabenkürzungen, seien sie staatlicher oder lohnpolitischer Natur, die Konjunktur weiter belasten und damit ein angemessenes Wirtschaftswachstum verhindern, das geeignet ist, die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden. Deswegen kommt die Wirtschaft trotz der von Draghi erwähnten günstigeren Kreditkonditionen nicht in Schwung; das Kreditwachstum in der Realwirtschaft hat so bis heute nicht aus dem negativen Bereich herausgefunden, wie Draghi selbst attestiert, wenn er auch die Verbesserung der Kreditdynamik hervorhebt. Das heißt die Kreditnachfrage bzw. das Kreditangebot sind aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und -aussichten trotz günstigster Finanzierungsbedingungen weiter geschrumpft. Und das nach über fünf Jahren der Umsetzung der wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die Draghi weiterhin für richtig hält.

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