Griechenland, Varoufakis, Athen: Journalismus als Meute

Am frühen Nachmittag ist tatsächlich auch rund um den zentralen Syntagma Square festzustellen, dass Menschen vor den Bankautomaten stehen. Bis heute Mittag war das noch nicht der Fall. Und schon geben auch die ersten Automaten kein Geld mehr heraus. Von einem Bankrun kann aber meines Erachtens immer noch nicht die Rede sein. Denn es herrscht kein Gedränge, keine Panik, nichts von alledem. Als ich eine Griechin, die ich von der anderen Straßenseite aus bei dem Versuch gesehen habe, Geld abzuhaben, frage, ob sie noch etwas herausbekommen hat, lacht sie und verneint. Dennoch ist die Sorge in der Bevölkerung sicherlich groß. Zurecht.

Bis zum Nachmittag sah es noch so vor den Bankschaltern rund um den Syntagma Square aus.

Am Nachmittag streikten dann die ersten Bankschalter.

Als ich auf meinem Streifzug an einer Seitenstraße unweit des Syntagma Square vorbeigehe, sehe ich eine Menschentraube von einem der Bürohäuser stehen. Kurze Zeit später weiß ich: das ist das Finanzministerium, und es ist die Meldung umgegangen, dass Finanzminister Varoufakis sich am Nachmittag äußern werde. Medienleute aus aller Herren Länder haben sich versammelt. Das Interessante, sie berichten jeden Tag über das Thema. Eine Meinung aber hat keiner von ihnen zur Entwicklung der letzten Tage oder zu Europa insgesamt, den ich frage. Was für ein Kontrast zu den Menschen, die ich sonst auf meine Reise nach und durch Südeuropa hierzu befragt habe. Die Damen und Herren Journalisten warten einfach nur. Ein bisschen Unterhaltung ist auch dabei. Aber kein Vergleich zu dem, was an den Tischen in den Cafés und Restaurants los ist. Wir berichten ja bloß, sagt doch tatsächlich einer, als ich ihn darauf anspreche. Ansonsten wird nur ausgewichen. Umso erstaunlicher dann die Einseitigkeit, mit der dann berichtet wird. Der Journalist ist niemals eine neutrale Instanz. Er soll natürlich so weit es nur geht die Realität einfangen. Darum aber bemüht sich die Mehrheit der Journalisten ja gerade nicht. Denn die Realität erschließt sich natürlich nicht dadurch, sich wie eine Meute auf Varoufakis zu stürzen oder wen auch immer, ihn in ein Blitzlichtgewitter zu tauchen und ihm bestenfalls ein paar Fargen zuzuwerfen. Darauf aber haben die versammelten Journalisten ausschließlich gewartet, den ganzen Nachmittag, und ich mit ihnen. Nicht, weil ich diesem idiotischen Handeln irgendeinen Sinn abgewinnen kann, sondern um mich zu vergewissern, dass das anscheinend wirklich das Selbstverständnis dieser JournalistInnen ist.

Varoufakis ist schließlich durch einen Seiteneingang entkommen, nachdem die Meute zwei, drei Mal in die falsche Richtung gelockt wurde und wieder zurück. Wie die Irren, sind sie dann alle losgelaufen und wieder zurück. Irre. Absolut irre. Diese Meute. Und absolut überflüssig. So hat es immerhin einen Varoufakisrun gegeben, wenn schon keinen Bankrun.

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