“Journalist” Gathmann halluziniert über die SPD (19.07.2011)

::Buchtipp::


Schon Balzac hat Zeitungen als “geistige Bordelle” abschätzig beurteilt, und wenn man seine “Verlorenen Illusionen” dies betreffend liest und mit dem heutigen Medienzirkus vergleicht, wimmelt es nur so von Déjà-vus.

Ein geradezu irrsinniges Beispiel hierfür liefert Florian Gathmann aktuell auf Spiegel-online. Schwärmerisch, euphorisch fällt er in eine Art journalistische Ekstase. Ausgelöst wurde selbige bei ihm durch einen Auftritt von SPD-Chef Gabriel mit SPD-Fraktionschef Steinmeier und dem ehemaligen Finanzminister, Bestseller-Autor, aber eigentlichen parlamentarischen Hinterbänkler Steinbrück auf der Bundespressekonferenz.

Zunächst einmal sollte sich jeder das über den Text von Gathmann eingebaute Video anschauen. Gabriel ist sich seiner Sache so sicher, dass er seinen Text ablesen muss. Neben ihm eingeblendet Steinbrück, griesgrämig in sich versunken. Der Inhalt: Umschuldung im Fall Griechenlands sei “zwingend notwendig”, gibt die Moderatorin des Beitrags wider. Dann Steinbrück: Er redet wie zu seiner politischen Hochzeit als “Bankenretter”: Ihn brauche keiner zu belehren. Natürlich nicht! Wie soll man auch einen Unbelehrbaren belehren? Vergebliche Liebesmüh von vornherein! Wo er Recht hat, hat er Recht.

In der gleichen Tonlage – “Krisenszenarien” war, wenn ich mich recht erinnere, schon zu HRE-IKB-usw.-Vollstrecker-Zeiten Steinbrücks einer seiner Lieblingsworthülsen – hat er uns auch schon die Milliardengräber seiner damaligen “Bankenrettung” eingebläut. Ich finde Guttenberg ist wirklich ein Waisenknabe gegen ihn, den wirklich genialen Blender.Und dann folgt wieder eine kleine Lesestunde mit Gabriel. Er macht das recht textsicher. Lesen kann er. Die Moderatorin sieht dann auch “die dramatische Euro-Krise” als “veritable Chance” für die SPD, “sich als krisenerprobte Partei zu präsentieren und die Führungsqualitäten ihrer Spitzenpolitiker hervorzuheben.” Krisenerpobt ist die SPD, wie wahr, allerdings nicht so, wie die Moderatorin es hier suggeriert. Und: Bestanden hat sie diese Probe bis heute nicht.Was macht aber nun “Journalist” Gathmann aus diesem politischen Trauerspiel?

Sigmar Gabriel hätte seinen Spaß gehabt, leitet Gathmann sein Heldenepos ein. Nun, wenn man sich in nüchternem Zustand Gabriel in dem Video anguckt, wirkt er eher ziemlich verkrampft, sich etwas unbeholfen an seinen aufgeschriebenen Text klammernd. Für Gathmann aber “dauert es nicht lange, bis das jeder im Raum merken kann”, wie sehr Gabriel seinen Spaß hat. Sei´s drum, aber: Passen Spaß und schwere Krise wirklich zusammen? Egal!

Gathmann macht sich nach dieser fulminanten Einleitung an den Aufbau einer Saga, die ihresgleichen sucht – und vielleicht in der Balzacschen Darstellung findet, wer sich die Zeit nehmen möchte, dessen “Verlorene Illusionen” zu lesen – was ich wiederum jedem empfehle. Der Titel “Verlorene Illusionen”, um noch einmal kurz aus der Gathmannschen Ekstase auszubrechen, wäre übrigens eindeutig die passendere Überschrift gewesen, hätte der Autor denn seinen drei Helden auf den Mund geschaut, sie beim Wort genommen und auf dieser Grundlage den Zustand der SPD bewertet.

Doch lassen wir uns lieber schnell wieder in die journalistische Trance fallen, in die uns Gathmann ja schließlich mit allen ihm zur Verfügung stehenden journalistischen Mitteln zu betten versucht.

“Staatstragende Sätze” von Steinbrück, Gabriel zitiert seriös die FAZ und kommt zu “messerscharfen Erkenntnissen”, und immer wieder Steinbrück: “Ihm fliegen die Herzen der Deutschen ohnehin schon seit Wochen zu…”
“Manche” sehen ihn schon als Kanzlerkandidaten. Ja, und ich sehe Gathmann schon als Regierungssprecher unter Steinbrück. Aber was heißt ich sehe ihn: er ist es bereits!

“Die SPD, lautet das Signal an diesem Tag, ist noch da. Die Umfragewerte mögen weiterhin mau sein, der Kurs der Partei unklar, die Grünen nervige Konkurrenten – aber immerhin sind die Sozialdemokraten wieder im Gespräch.”
Immerhin! Das ist die Politik, die aus schweren Krisen herausführt! Denn, so Gathmann: “Genau das ist aus Sicht der Sozialdemokraten Merkels Manko in der aktuellen Krise: dass die Kanzlerin zu wenig Führung bei der Euro-Rettung zeigt.” Und wenn eines klar ist, dann natürlich, dass Steinbrück alles “klar” ist. Und “Gabriel ist stolz auf die Krisen-Könner”.

Das einzige, was der SPD auf dem Weg zur Kanzlerschaft noch im Wege steht, ist, wenn es nach Gathmann und “Manchen” geht, der “linke Flügel” in der SPD: “Über zwei Jahre sind es noch bis zur Bundestagswahl 2013. Und dennoch glauben manche Beobachter, Steinbrücks Kanzlerkandidatur sei längst ausgemachte Sache. Weil Gabriel eingesehen hat, dass die Wahl für ihn zu früh kommt und Steinmeier nach der Niederlage 2009 nicht ein weiteres Mal antreten will.Um die Partei an diesen Gedanken zu gewöhnen, muss der sperrige und beim linken Flügel ungeliebte Steinbrück eingebunden werden. Der Troika-Aufritt könnte ein weiterer Schritt dahin sein.”Jetzt bitte wieder langsam aufwachen und die Augen öffnen. Und, sehen Sie das, was ich sehe? Ich sehe  einen lahmen, mundtoten “linken Flügel” in der SPD. Ach nein, ich bin ja immer noch nicht ganz wach. Auch das bilde ich mir doch nur ein, oder? Ich sehe und höre gar nichts. Der linke Parteiflügel muss wohl selbst erst einmal wieder richtig pflügge werden! Breite sie aus, Deine Flügel! Schön beschwingt bitte. Bitte!Und jetzt noch eine Hausaufgabe zum wieder aufgelegten Begriff der “Troika”: Versuchen Sie sich einmal daran zu erinnern, wie die letzte herbeigeschriebene SPD-Troika geendet ist (Lösung hier).


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