Selbstanzeige bei Steuerbetrug – wieso überhaupt? (08.12.2010)

Das Kabinett verschärft die Regeln gegen Steuerbetrug ist eine der Meldungen des Tages: “Wer sich selbst anzeigt, soll künftig nur noch dann straffrei bleiben, wenn er alle hinterzogenen Steuern preisgibt. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat heute das Kabinett beschlossen”, meldet der Deutschlandfunk.

Der gemeine Steuerzahler fragt sich natürlich prompt, wie der betrogene Staat denn prüfen kann, dass der Steuerbetrüger wirklich alle hinterzogenen Steuern preisgibt? Ein hoffnungsloses Unterfangen denkt der gemeine Steuerzahler, ahnt er doch zumindest die Komplexität organisierter Steuerhinterziehung, der dahinter stehenden Macht des Geldes, der Finanzinstitute, ja, ganzer Staaten. Wird mir da nicht schon wieder etwas von der hohen Politik vorgegaukelt, fragt er sich, so, wie zum Beispiel bei der im Zuge der schon fast vergessenen Finanzkrise angekündigten verschärften Regulierung von Banken und Finanzmärkten?

Warum aber überhaupt die Möglichkeiten der Selbstanzeige und Straffreiheit bei Steuerhinterziehung?

“Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich” heißt es im berühmten Gleichheitssatz des Grundgesetzes, Artikel 3, Absatz 1.
Verstößt danach nicht auch die jetzt vom Kabinett beabsichtige Einschränkung der Straffreiheit bei Selbstanzeige im Falle hinterzogener Steuern gegen das Grundgesetz?
Der Ladendieb, der auch nur einen Schokoweihnachtsmann in seiner zerschlissenen Hosentasche verschwinden lässt und dabei ertappt wird, hat die Möglichkeit sich selbst anzuzeigen schließlich nicht.
Man stelle sich nur einmal vor, die Gesetzgebung würde ihm entsprechend den Steuerdieben entgegenkommen: Der Ladendieb, schon hinter der Kasse stehend, ahnt, dass er doch noch ertappt werden könnte; ein Mann ist ihm aufgefallen, der ihn beobachtet. Und tatsächlich ist jener bei einem vom Ladeninhaber beauftragten Sicherheitsdienst beschäftigt.

Kurzentschlossen geht der Ladendieb auf den Schlapphut zu, grüßt ihn freundlich und sagt ihm, noch ehe der andere die Möglichkeit hat zu agieren: “Entschuldigen Sie, hiermit zeige ich mich selbst an.” Treuherzig hält er dem Sicherheitsdienst den Schokoladenweihnachtsmann entgegen und gesteht: “Das ist alles, was ich gestohlen habe.” Der Sicherheitsbeauftragte erwidert freundlich: “Prima. Das ist so in Ordnung. Sie können gehen.”

Gut, dieses Beispiel mag den geschulten Juristen nicht überzeugen; wenn schon, würde er vielleicht ein Beispiel von Unterschlagung oder Betrug zum Vergleich heranziehen.

Deutlich wird doch aber, dass offensichtlich weiterhin mit zweierlei Maß gemessen wird: Dem Steuersünder wird ein Fluchtweg offen gehalten, bei anderen, häufig wesentlich harmloseren Delikten gilt dies nicht.

Was mich, wiederum zugespitzt, wundert:

Dass anscheinend noch niemand damit vor das Verfassungsgericht gezogen ist. Zählen Ladendiebstähle etwa nicht zu den häufigsten Strafdelikten – allenfalls getopt durch die Zahl der Steuerdelikte, die ja aber entweder nicht aufgedeckt werden oder aber durch Selbstanzeige folgenlos für die Täter verlaufen?

Warum also zieht nicht einmal ein mit Ladendiebstahl befasster Anwalt vor das Bundesverfassungsgericht und klagt den Gleichheitsgrundsatz ein? Bitte liebe Juristen, handeln sie! Der Gerechtigkeit zuliebe.


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