Gabriels verhängnisvoller Kurs (26.11.2010)
Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hält Kurs – leider ist es der alte.
“Aber ich glaube,
wir müssen über die Vergangenheit nachdenken.
Wer die Zukunft haben will,
muss die Vergangenheit bewältigen.
Er muss sich reinigen von der Vergangenheit,
um klar und sauber in die Zukunft zu blicken.”
(Hans Eisler)

Am 23. September habe ich einen Brief an den Parteivorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel, geschrieben. Darin heißt es unter anderem:

 

“…´Die Menschen erinnern sich, Deutschland wurde schon einmal besser regiert, als Peer Steinbrück Finanzminister war, Frank Steinmeier der Außenminister und Olaf Scholz der Arbeitsminister.´ (Sie im Gespräch mit dem Spiegel am 20.09.2010)

 

Soll die SPD, wenn es nach Ihnen geht und Sie wieder eine Regierung bilden, also so weiterregieren wie unter Peer Steinbrück und Frank Steinmeier? Sie scheinen immer noch nicht realisiert zu haben, dass die SPD wegen ihrer konkreten Politik, die maßgeblich von Frank Steinmeier und Peer Steinbrück geprägt und bestimmt worden ist, abgewählt wurde und zu einer 20-Prozent-Partei geschrumpft ist. Dafür spricht auch Ihr Einladungsschreiben zur Buchvorstellung von Peer Steinbrück im Willy Brandt-Haus. Die Wählerinnen und Wähler aber scheinen sich sehr deutlich zu erinnern – nur nicht in dem von Ihnen oben ausgedrückten Sinne. Wie passt das außerdem zusammen mit den Mitgliederbefragungen, die die SPD im März in ihren Ortsvereinen durchgeführt hat – und deren Ergebnissen?…”

 

In einem Antwortschreiben der “SPD – Der Parteivorstand – Direktkommunikation” vom 5. Oktober heißt es dazu:

 

“Im Gegensatz zu Ihnen glaube ich, dass wir eine Neuorientierung erreicht haben und diese konsequent umsetzen werden.”

 

Das heutige Interview mit Sigmar Gabriel im Deutschlandfunk zeigt, dass dem nicht so ist, zumindest wenn man den Parteivorsitzenden der SPD beim Wort nimmt:

 

Gabriel setzt gleich zu Beginn seine Priorität. Es ist die gleiche Priorität, die die SPD-Finanzminister Steinbrück und Eichel in der Vergangenheit gesetzt haben:

 

“Der Hauptunterschied zu Kanzlerin ist zum Beispiel, dass ich der Überzeugung bin, wenn man 60 Mrd. Euro mehr Steuern einnimmt,dann muss man 60 Mrd. Euro weniger Schulden machen und nicht eine Kriegskasse anlegen für zukünftige Steuersenkungen, und dann muss man eben auch der SPD sagen, auch für uns heißt das, dass wir nicht ein Wünsch-dir-was-Papier und Katalog aufschreiben können, was wir alles ausgeben wollen, sondern auch wir müssen sagen, 60 Mrd. mehr heißt 60 Mrd. weniger Schulden, weil das eines der zentralen Themen ist in Deutschland.”

 

Gabriel weiter: “Wir müssen auch bei uns, in unseren Haushalten sparen, weil wir mehr Geld für Bildung ausgeben müssen, mehr Geld für Integrationsaufgaben, dass sind Themen, finde ich, die für Deutschland wichtig sind, aber die beantwortet die Politik insgesamt zur Zeit nicht, und der größte Unterschied wie gesagt zur Regierung ist, dass wir der Überzeugung sind, Schulden machen auf Kosten zukünftiger Generationen ist falsch, und das war auch die Debatte zum Haushalt…Das hat Herr Steinmeier gesagt, das sage ich, das sagen wir alle.”

Schuldenabbau bleibt demnach die Priorität der SPD; zusätzliche Ausgaben für Bildung und Integration sind, nach Gabriels Worten zu urteilen, durch Minderausgaben in anderen Bereichen gegenzufinanzieren. Kein Wort zu einem insgesamt unterfinanzierten Staatshaushalt und der Alternative: die Staatseinnahmen zu erhöhen und den Sozialstaat wieder zum Leben zu erwecken.

Später sagt Gabriel dann: “Die SPD muss das tun, was sie immer getan hat, eine eigenständige Position einnehmen, eine eigenständige Politik, bei uns steht im Mittelpunkt das Thema Arbeit; Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, das ist verloren gegangen, viele Leute haben, obwohl sie arbeiten gehen, nicht ausreichend Lohn, müssen zum Staat und sich noch Sozialhilfe holen, oder junge Leute fangen, trotz guter Berufsausbildung, in ganz schlechten Beschäftigungsverhältnissen an, es geht um Gesundheit und Pflege, und es geht übrigens auch immer wieder um staatliche Finanzen. So wie das bislang gelaufen ist, dass wir trotz wirtschaftlichen Aufschwungs dann immer wieder neue Schulden machen, das geht nicht. Peer Steinbrück als Finanzminister der SPD hat übrigens auch gezeigt, dass man es auch anders machen kann; ich finde, das sind unsere Themen, und die müssen wir im Mittelpunkt haben.”

Eindrucksvoller kann man nicht demonstrieren, dass die SPD-Spitze noch nicht einmal im Ansatz begonnen hat, ihre Regierungspolitik der Vergangenheit zu hinterfragen oder gar in Frage zu stellen. Wie mag das wohl auf die verbliebenen und verloren gegangenen SPD-Wähler wirken, wenn der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands so spricht?

Und bräuchte die Gesellschaft nicht dringend einer SPD, die sich wieder zuallerst den Menschen, ihren Bedürfnissen und Ängsten zuwendet und dann den Zahlen und nicht umgekehrt?


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