Kommentar: Von einem selbstvergessenen SPD-Vorsitzenden

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“Greifen die US-Rating-Agenturen gezielt den Euro an? Nein, sagt SPD-Chef Gabriel im Interview – und nimmt Standard & Poor’s sogar in Schutz. Die jüngsten Abwertungen seien nachvollziehbar und logische Folge der Euro-Politik von Kanzlerin Merkel: ´Ihr Spardiktat droht die Krise zu verschärfen.” So der SPD-Vorsitzende heute im Interview mit Spiegel-online.

Da regt sich alles über Wulff auf. Alles schön und gut. Und richtig. Richtig auch die Kritik am Spardiktat der Kanzlerin. Aber ist Gabriel wirklich der Richtige, der hier Kritik übt? Oder soll man dieses Interview mit der Diagnose Selbstvergessenheit ad acta legen?

Gabriel wirft im Spiegel-Interview der Kanzlerin vor, sie bringe “Leute in Ämter, die klassische bürgerliche Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Würde, Zuverlässigkeit mit Füßen treten.” Er selbst aber sieht den Balken im eigenen Auge nicht. Gabriel im Spiegel-Interview: “Nehmen Sie die Abwertung Frankreichs durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s. Die Rating-Agentur befürchtet, dass die klammen Länder an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und noch tiefer in die Krise rutschen, wenn man den Problemen nur mit Haushaltskürzungen begegnet. Ausgabenkürzungen aber sind Merkels oberste Maxime.”

In seinem Gastbeitrag in der FAZ vom 13. Dezember ging Gabriel der Sparkurs der Kanzlerin aber immer noch nicht weit genug. Gabriel wirft darin der Kanzlerin vor:

“Statt selbst die staatliche Kreditaufnahme zu reduzieren, wird sie ausgerechnet im Schulmeisterland Deutschland erhöht. Wenn die einmalig günstige Zinssituation in Deutschland nicht dazu genutzt wird, die eigenen Staatsschulden zu senken, sondern stattdessen zu einem Zeitpunkt sehr guten Wirtschaftswachstums, sprudelnder Steuereinnahmen und extrem niedriger Zinsen die Neuverschuldung in den Jahren 2012 und 2013 noch erhöht werden soll, muss das zu Empörung bei denjenigen führen, denen gerade wir pädagogische Anleitungen zum Abbau ihrer Staatsverschuldung geben wollen.”

Und auch die von der Kanzlerin durchgeboxten Sanktionsmechanismen und Schuldenbremsen für die Länder der Eurozone gingen Gabriel vor einem Monat immer noch nicht weit genug:

“Nationale Schuldenbremsen wurden zwar verabredet, und wer dagegen verstößt, soll Sanktionen ausgesetzt werden. Die allerdings kann eine Mehrheit der Mitgliedstaaten auch in Zukunft stoppen, wenn sie die Konsequenzen fürchten”, beklagte er in der FAZ. Im Spiegel aber ist nun plötzlich seine größte Sorge, “dass Merkels Spardiktat die Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder einschränkt und die Krise so noch zusätzlich verschärft.”

Immerhin, könnte man meinen. Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Aber hierzu gehörte doch wohl auch das Eingeständnis, dass Gabriel vor gerade einmal vier Wochen “Merkels oberste Maxime” immer noch nicht maximal genug war. So muss jeder informierte und nicht mit zweierlei Maß messende Leser zum Schluss kommen, dass nicht nur die Kanzlerin “Leute in Ämter bringt, die klassische bürgerliche Tugenden wie Anstand, Ehrlichkeit, Würde, Zuverlässigkeit mit Füßen treten”, wie Gabriel beklagt, sondern dass eben jene bürgerlichen Tugenden auch der Parteivorsitzende der SPD höchstselbst mit Füßen tritt.

Bezeichnend darüber hinaus Gabriels erneuter positiver Bezug auf die rot-grüne Regierungsphase: “SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich, dass Deutschland so gut durch die Krise gekommen ist? Gabriel: Dass Rot-Grün zu Beginn des Jahrtausends der Verlockung widerstanden hat, die klassische Industrie zugunsten virtueller Finanzmärkte abzuwickeln, erweist sich jetzt als goldrichtig. Wir leben von einer starken Industrie, einem starken Mittelstand sowie sehr flexiblen Unternehmen und Belegschaften. Das müssen wir erhalten und ausbauen.”

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Hätte er wenigstens die Wirkung der Konjunkturprogramme hervorgehoben. Aber die sind ihm im Nachhinein wahrscheinlich genauso suspekt wie der schwarz-gelben Koalition. Dass sozialdemokratische Finanzminister und seine Partei es waren, die die Finanzmärkte in noch nie dagewesenem Ausmaß deregulierten, lässt Gabriel unter den Tisch fallen. “Faire” Löhne, Mindestlohn und Finanztransaktionssteuer dürfen dann zwar auch nicht fehlen. “Viele Menschen in Deutschland haben während der Krise verzichtet”, so Gabriel. Viele Menschen haben aber bereits vor der Krise verzichtet. Vor allem dank rot-grüner Arbeitsmarktgesetze. Was er der Kanzlerin im Wahlkampf noch entgegensetzen wolle, fragt dann auch selbst der Spiegel. Gabriel: “Ich bin da ganz entspannt, denn wir sehen ja gerade, dass Reden und Handeln bei dieser Koalition zwei entgegengesetzte Dinge sind.”

Gabriel empfiehlt der Kanzlerin noch im Januar 2012 doch auf Bundesbank-Präsident Weidmann zu hören, der mehr Sparanstrengungen von der Bundesregierung fordert. (Zur Vergrößerung auf die Abbildung klicken.)

Gabriels Problem aber ist: Bei ihm fallen schon Reden und Reden auseinander. Es müssen nur vier Wochen dazwischen liegen. Vielleicht nicht einmal die. Noch im Januar 2012 schwärmt Gabriel auf seiner davon, dass Bundesbank-Präsident Weidmann mehr Sparanstrengungen fordert und empfiehlt der Kanzlerin, doch auf ihn zu hören. Bei einem, der so redet, wagt man kaum, sich sein Handeln auszumalen.


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