SPD-Chef Gabriel und Grünen-Fraktions-Chef Trittin halten immer noch Agenda-Kurs – jetzt für ganz Europa

Wie tief muss Europa noch fallen, bis sich die Politiker, die diesen Fall durch ihre Politik mit verursacht haben, eines Besseren besinnen? In Zeiten des sozialen Verfalls und ökonomischen Zerfalls eine entscheidende Frage.

Gabriel und Trittin im alten Fahrwasser

Noch scheint dieser Zeitpunkt jedenfalls nicht gekommen. Zumindest wenn man dem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) folgt. Die gibt die schon in der rot-grünen Bundesregierung unter Schröder mit den Ton angebenden Politiker, den heutigen SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, wie folgt wieder:

“Natürlich müssen viele Länder in Europa ihre Arbeitsmärkte flexibilisieren, natürlich müssen wir in Europa Staatsbetriebe privatisieren.“ So SPD-Chef Gabriel im Wortlaut. Immerhin schiebt er noch hinterher: „Aber wir müssen das sozial begleiten.“

Weiter heißt es in der FAS: “Auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hob hervor, an Konsolidierung und harten Strukturreformen führe kein Weg vorbei. ´Aber ergänzt durch Maßnahmen, die Investitionen tatsächlich stimulieren´, sagte Trittin.”

Es ist offensichtlich, dass hier die alten Agenda 2010-Rezepte, versehen mit einem sozialen Feigenblatt, aus der Eurokrise führen sollen: Privatisierungen und harte Strukturreformen. Hinter Strukturreformen verbergen sich immer der Abbau des Sozialstaates und von Arbeitnehmerrechten. Alles in Reinkultur Bestandteil der Agenda 2010.

Lisa Paus und Swen Schulz zeigen: Es geht auch anders

Diese Aussagen zweier führender deutscher Oppositionspolitiker zeigen ganz deutlich, dass der SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz recht hat. Der sagte am vergangenen Donnerstag im Deutschen Bundestag auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit der grünen Bundestagsabgeordneten Lisa Paus unter der Überschrift “Rot-Grün wie weiter?“, dass es ihm Sorge bereite, dass auch die SPD bis heute kein Konzept zur Rettung der Eurozone habe. Überhaupt fielen beide Bundestagsabgeordneten dadurch angenehm auf, dass sie die Politik ihrer eigenen Parteien kritisch hinterfragten. So verwies Lisa Paus gleich einleitend darauf, dass trotz Krise der Bundesregierung keine Wechselstimmung in der Bevölkerung herrsche. Um dies zu unterstreichen, verriet Paus ihre Art Zeitung zu lesen. So fand sie zwar die Neuausrichtung der Grünen in den Medien wieder, die Paus mit dem “Dreiklang” zusammenfasste: Finanzmärkte regulieren, ökologisch wirtschaften und Korrekturen bei Hartz IV. Allerdings müsse sie auch die Kommentare zur Kenntnis nehmen, in denen die Leser unter jener Berichterstattung ihrer Meinung Ausdruck verliehen. Dort würden den Grünen immer noch schwere Vorbehalte aufgrund ihrer Agenda-Politik in rot-grüner Regierungsverantwortung entgegengebracht. Lisa Paus zählt auch zu den Unterzeichnern des Aufrufes “Farbe bekennen – gegen entwürdigende Hartz IV Praxis und für berufliche Förderung“.

Kritisch äußerten sich Paus und Schulz auch zu ihrer Führung; das reichte bis zur resignierten Feststellung, dass man ja nun einmal keine anderen habe und, so kurz vor der Bundestagswahl, diese wohl auch nur schwer austauschen könne. Auch wurden Zweifel angemeldet, dass Politiker, die so eng mit der Regierungspolitik unter Schröder verbunden gewesen sind, jemals wieder davon Abstand gewinnen könnten. Interessant auch, dass die Piraten, sowohl in den Ausführungen der Bundespolitiker wie auch in den lebhaften Diskussionsbeiträgen aus dem Publikum, eine dominierende Rolle spielten. Auch hier herrschte weitgehend Ratlosigkeit, die auch offen ausgesprochen wurde. Eine Nachdenklichkeit und Offenheit, die die Veranstaltung und ihre Protagonisten zweifellos auszeichneten. Der Bezug zur eigenen Programmatik und der in Regierungsverantwortung ausgeübten Politik könnte hier weiter helfen. Interessant in diesem Zusammenhang, dass auch die mangelnde Streitkultur in den Parteien ein Thema war.

Die zwei großen Irrtümer Gabriels und ein erster möglicher Schritt, sie zu korrigieren

Dass das Ringen um Positionen und die Auseinandersetzung mit der Agenda Politik und ihren Folgen eine Notwendigkeit sind, um zu einer glaubwürdigen Neuausrichtung zu finden, zeigen eben auch die oben zitierten Äußerungen Gabriels und Trittins. Gabriel hat sich in diesem Zusammenhang gleich zweimal geirrt: Auf dem SPD-Bundesparteitag erklärte er nicht nur die Neuausrichtung der SPD für beendet, sondern auch das Zeitalter des Marktradikalismus. Er hat sich mit seinen Aussagen am heutigen Sonntag selbst widerlegt. Wenn es ihm doch auch einmal gelänge, die Zweifel daran zu widerlegen, dass er überhaupt zu einer glaubwürdigen Neuausrichtung fähig sei. Vielleicht würde es schon helfen, wenn er sich einmal von Lisa Paus erklären ließe, wie man selbstkritisch Zeitung liest.

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