Welthandelswachstum: Ökonomische, ökologische und soziale Zusammenhänge – ein Gastbeitrag von Michael Dauderstädt

Michael Dauderstädt

Wirtschaft und Gesellschaft hatte verschiedene Ökonomen um eine Stellungnahme zur jüngsten Welthandelswachstums-Prognose der Welthandelsorganisation (WTO) gebeten. Gustav Horns und Dierk Hirschels Schlussfolgerungen sind in diesem Beitrag nachzulesen: Welthandelsorganisation korrigiert Prognose für Welthandelswachstum nach unten (mit Schlussfolgerungen von Gustav Horn und Dierk Hirschel).

Hier nun die Stellungnahme von Michael Dauderstädt. Dr. Michael Dauderstädt ist Leiter der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seine Hauptarbeitsgebiete sind internationale politische Ökonomie und europäische Integration; das von ihm bearbeite Themenspektrum reicht jedoch von Außen- und Sicherheitspolitik über Entwicklungspolitik bis hin zu Wirtschafts- und Sozialpolitik (www.dauderstaedt.de).

Zwei Aspekte zur Bewertung eines möglichen Welthandelsrückgangs

Mit ihrer jüngsten Prognose ist die WTO noch pessimistischer als der IMF in seinem letzten World Economic Outlook. Da ging er von 3,8% Wachstum des Welthandels 2012 und 5,1% für 2013 aus. Er unterstellte dabei ein Wachstum der Weltwirtschaft von 3,1% in diesem Jahr und 3,5% im nächsten. Es wäre interessant zu wissen, welches Wachstum die WTO unterstellt. Generell müsste eine Bewertung eines möglichen Welthandelsrückgangs zwei Aspekte unterscheiden: 1. Wie beurteilt man ein geringeres Wachstum der Weltwirtschaft? 2. Wie stark sollte Wachstum exportorientiert sein bzw. inwieweit ist eine Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung (d.h. Welthandel wächst schneller als das globale BIP) wünschenswert?

Die ökologische und soziale Dimension des Welthandels

Aus ökologischer Sicht (Klimawandel) wäre ein geringeres Wachstum wünschenswert, das sich maximal mit der Rate der Entkoppelung von BIP-Wachstum und Klimagasausstoss entwickelt. Ein Rückgang der schon zu hohen CO2-Menge würde ein noch schwächeres Wachstum (oder schnellere Entkopplung) erfordern. Nach meinen Schätzungen dürfte sich diese Rate bei 2-3% bewegen. Ein Wachstum von 2-3% reicht allerdings angesichts der Produktivitätsentwicklung nicht für Vollbeschäftigung aus, sondern wird ohne Arbeitszeitverkürzung die Arbeitslosigkeit erhöhen.

Aus sozialer Sicht müsste dieses Wachstum vor allem den ärmeren Haushalten in der Welt, die immer noch vor allem in den ärmeren Ländern zu finden sind, zukommen. Eine gerechte Verteilung des noch klimaverträglichen Wachstums auf alle Menschen erlaubt eine jährliche reale Einkommenssteigerung von 100 USD/Kopf, was in ärmeren Ländern noch etwa 3% Wachstum bedeutet, in reicheren weniger als 1% (vgl. hierzu auch: Michael Dauderstädt, Globales Wachstum zwischen Klima, Gleichheit und Demographie). Reichere Länder müssten aus ökologischer Sicht daher mehr auf Freizeit als auf Outputsteigerungen setzen. Diese Freizeit müsste aber mit einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung einhergehen und nicht einseitig die Form Arbeitslosigkeit und Armut annehmen.

Rasche Zunahme globaler Ungleichheit bremst Wirtschaftswachstum

Ein Wachstum des Welthandels über dem des globalen BIP, wie es in den letzten Jahrzehnten üblich war, bedeutet eine Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung. Der Anteil der Exporte (und Importe) am nationalen BIP ist in den meisten Ländern stark gestiegen; in Deutschland hat er sich in den letzten zwanzig Jahren etwa verdoppelt. Aus traditioneller Freihandelssicht (Ricardo) erhöht diese Arbeitsteilung den Wohlstand aller beteiligten Länder, da die Produktivität wächst, wenn sich die Länder auf die Produktion der Güter und Dienstleistungen spezialisieren, bei denen sie über komparative Vorteile verfügen.

Die moderne Globalisierung ist dagegen jenseits von Ricardo von Faktormobilität und multinationalen Unternehmen geprägt, die transnationale Wertschöpfungsketten kontrollieren. Dies hat eine rasche Zunahme der globalen Ungleichheit ermöglicht, da sich Lohn- und Produktivitätsentwicklung entkoppelt haben, was das Nachfragewachstum bremst und so wahrscheinlich für die nun befürchtete Wachstumsschwäche mitverantwortlich ist.

Konsequenzen einer starken Exportorientierung sprechen für stärkere Binnenorientierung

Eine stärkere Exportorientierung hat zwiespältige Wirkungen: Einerseits erlaubt sie ein Wachstum, auch wenn die Binnennachfrage stagniert (so in Deutschland in den letzten Jahren). Andererseits macht sie das einheimische Wachstum von der Auslandsnachfrage abhängig, die man nur beschränkt politisch beeinflussen kann (am ehesten noch durch Abwertung, was aber in einem Armutswettlauf endet, wenn es alle versuchen). Ein Rückgang des Welthandels legt also eine stärkere Binnenorientierung des Wachstums nahe, bei dem die einheimischen Arbeitskräfte mehr mit der Produktion von Gütern und Dienstleistungen beschäftigt werden, die den eigenen Bedarf decken. Wer annimmt, dass so ein Wachstum ohne Export nicht möglich sei, sollte sich fragen, wie dann das Wachstum der Weltwirtschaft überhaupt zu erklären ist, da sie ja gar nichts (extraplanetar) exportiert.

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