Deutscher Europa-”Experte” versteht Eurokrise und Not Italiens nicht – Folge 1 im Neuen Jahr aus der Reihe: Not everything is at it “Siems”

Die ideologisch äußerst gefestigte Welt-Journalistin Dorothea Siems hat im Neuen Jahr gleich wieder zugeschlagen und den vermeintlichen “Europa-Experten” Lüder Gerken vom Centrum für Europäische Politik (CEM) zur Situation in Italien interviewt. Doch, wie sollte es auch anders sein, es gilt auch im Neuen Jahr: Not everything is at it “Siems”.

Was sollte uns ein deutscher Ökonom, zumal einer wie Gerken, seines Zeichens nicht nur Chef des Ideologie-Tanks CEM, sondern zugleich Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, schließlich auch anderes zu sagen haben, als nebulös über “Stillstand”, “substantielle Reformen”, “künstlich niedrig gehaltene Zinsen” (“Notenpresse”!), “beunruhigte Finanzmärkte” und Inflationsgefahren zu plappern.

Hier eine erste Kostprobe:

“Sorgen um Italien muss man sich schon seit Längerem machen. Der Rückzug von Ministerpräsident Mario Monti hat die Lage nicht wesentlich verändert. Denn bereits seit dem Sommer herrscht Stillstand in dem Krisenland, da Monti damals die Mehrheit im Parlament verlor. Der international geschätzte Politiker war im November 2011 mit einem substanziellen Reformpaket gestartet. Doch die von ihm angekündigten und dringend nötigen Reformen etwa bei der Rente und am Arbeitsmarkt gerieten ins Stocken. Vor allem fehlen die konkreten  Umsetzungsmaßnahmen, sodass tatsächlich nur wenig vorangegangen ist.”

Hier ein Eindruck vom “Stillstand” in Italien:

Italien: Reale Staatsausgaben und -einnahmen 2000 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Wie man auf einen Blick sieht, sind die von Gerken befürworteten staatlichen Kürzungsorgien in vollem Gange.

Dorothea Siems fragt Gerken völlig unvoreingenommen, wie es sich für eine gute Journalistin gehört:

“Die Welt: Bei der Wahl im Februar steht der Reformkurs zur Abstimmung. Was passiert, wenn die Gegner siegen?”

Gerken:

“Sollte es eine politische Mehrheit für die Reformer geben, könnte Monti noch einmal als Ministerpräsident zur Verfügung stehen und weitere Veränderungen mit einer stabileren Mehrheit im Parlament in Angriff nehmen. Wenn allerdings die Populisten rund um Silvio Berlusconi siegen sollten, dürften die Finanzmärkte doch nervös werden. Denn dann würde der Reformkurs nicht wieder aufgenommen und Italiens Wettbewerbsfähigkeit weiter erodieren, mit der Folge, dass die Kreditwürdigkeit des Landes weiter sinken und das Land höhere Zinsen zahlen müsste.”

Auf die Idee, dass es genau jene von Gerken eingeforderten “Reformen” sind, die Berlusconi wieder zurück an die Macht bringen könnten, kommt dieser kluge Kopf gar nicht. Wir haben dies bereits im vergangenen Jahr thematisiert und nachgezeichnet: Deutschland und “EU-Troika” trimmen Italien für Rechtspopulismus; Italy: Barroso “praises” Monti´s “reforms” – but he is fundamentally wrong.

Dass Gerken auch die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) nur durch die ideologische Brille betrachtet, versteht sich da fast von selbst. Niedrige Zinsen sind ihm per se ein Graus; da hilft nur das Angstwort “Notenpresse”! Der zentrale Zusammenhang, dass, um erfolgreich Wirtschaftswachstum zu generieren und damit auch einen nachhaltigen Schuldenabbau zu ermöglichen, die Zinsen unterhalb des Wirtschaftswachstums liegen müssen, und die EZB in diese Richtung verzweifelt und unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch vergeblich zu wirken sucht, will dieser destruktive Kopf nicht wahrhaben.

Genauso wenig wahrhaben will Gerken – und hier benennt er immerhin das zentrale Problem -, dass zum erfolgreichen und für die Menschen verträglichen Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit bzw. der Lohnstückkosten zwei Seiten gehören müssen: diejenigen, die das Inflationsziel der EZB über Jahre nach oben durchbrochen haben und diejenigen – wie Deutschland -, die das Inflationsziel der EZB über Jahre nach unten durchbrochen haben. Gerken will aber nur von der einen Seite etwas wissen:

“Die einzige Lösung ist jetzt, die Wettbewerbsfähigkeit über sinkende Lohnstückkosten zu erreichen. Wenn die Italiener diesen harten Weg nicht gehen, drohen uns immer größere Verwerfungen und Ungleichgewichte im Euro-Raum, die dann die EZB immer stärker zu ihrem fragwürdigen Handeln veranlassen dürften.”

Hier jedoch der Verlauf der Lohnstückkosten in Italien und in Deutschland seit Bestehen der Währungsunion:

Wettbewerbsfähigkeit Italien - Deutschland: Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten und Inflationsziel der EZB, 1999 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Man sieht in der Graphik sehr deutlich, dass Deutschland sich vom Inflationsziel der EZB – die Preise werden wesentlich von dem Verlauf der hier abgebildeten Lohnstückkosten bestimmt – über Jahre weit stärker entfernt hat als Italien. Die gepunkteten Linien zeigen wiederum, dass die dadurch weit geöffnete Schere bei der Wettbewerbsfähigkeit sich trotz der radikalen Ausgabenkürzungen Italiens ohne ein Einlenken Deutschlands nicht schließen lassen wird. Im Gegenteil: Weil die Ausgabenkürzungen die italienische Wirtschaft nach unten ziehen, dies Menschen aus dem Produktionsprozess wirft und arbeitslos macht wie auch die Investitionen negativ berührt, droht die Wettbewerbsfähigkeit Italiens sich nachhaltig zu verschlechtern.

Man ist ein weiteres Mal geneigt zu fragen, warum sich Deutschland solch ökonomische Witzfiguren leistet. Hier wäre Einsparen nun wirklich einmal angebracht! In jedem Fall aber lautet das Fazit aus diesem Interview von Dorothea Siems mit Lüder Gerken ein weiteres Mal: Not everything is as it “Siems”.

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