Zitat des Tages: Jakob Augstein über Peer Steinbrück – müssen etwa beide auf die Couch?

Vorsicht, jetzt wird es psychologisch. Jakob Augstein hat sich erneut Peer Steinbrück angenommen. Diesmal als Kinderpsychologe: ““, hat Augstein seine Psychoanalyse überschrieben. Gemeint ist der SPD-Kanzlerkandidat. Augstein schwebt folgende Heilung des Patienten vor, wobei am Ende nicht mehr so recht klar ist, wer eigentlich der Patient ist:

Wir können uns nicht den Luxus erlauben, Steinbrück zu ignorieren oder ihn zu verdammen. Wir müssen versuchen, ihn zu verstehen.

Zunächst einmal ist Augstein in einem Punkt zuzustimmen (was ja auch psychologisch immer gut ist: zunächst einmal nach Gemeinsamkeiten zu suchen und diese zu nennen; das hilft, Widerstände ab- oder gar nicht erst aufzubauen): Wir können es uns in der Tat nicht erlauben, Steinbrück zu ignorieren.

Wie aber kann man Steinbrück verstehen, ohne ihn für das, was wir von ihm zu hören und zu lesen bekommen, sogleich zu verdammen?

Wobei das Wort verdammen einem ja – sicherlich auch psychologisch interessant – sogleich ein schlechtes Gewissen macht, moralisch aufgeladen und sich über andere erhebend wie dieses Wort daher kommt. Jemanden zu verdammen ist selbstverständlich – da sind wir uns hoffentlich alle einig – nichts Gutes und abzulehnen.

Hartz IV Empfänger zum Beispiel sind ja gewissermaßen verdammt. Verdammt dazu jeden Job anzunehmen, egal, wie schlecht er bezahlt wird oder wie weit er von der beruflichen Qualifikation entfernt ist. Steinbrück ist “stolz” auf dieses verdammte und verdammende Gesetz. Aber lassen wir das. Wir wollen ihn und, wenn es nach Augstein geht, sollen ihn dafür nicht verdammen.

Warum hat Augstein bloß nicht einfach das Wort kritisieren statt verdammen benutzt? Vielleicht, weil jedem oder den meisten (ohne die Beifalls-Süchtigen und karrieregeilen SPD-Abgeordneten, -Delegierten und -Funktionäre) dann doch wohl aufgestoßen wäre, warum es denn bitteschön “Luxus” sein soll, Steinbrück zu kritisieren, “Luxus”, den wir uns nicht erlauben können! So, wie Augstein es ausdrückt, verbietet er es uns ja sogar, nur, dass er es – psychologisch geschickt – positiv wendet, indem er das Wort erlauben benutzt und darauf hofft, dass wir uns so nicht von ihm bevormundet fühlen, was ja – wiederum psychologisch interessant – bei vielen (wir nehmen wiederum die Beifalls-Süchtigen und karrieregeilen SPD-Abgeordneten, -Delegierten und -Funktionäre davon aus) Abwehrreflexe auslösen würde.

Liegt es aber nicht viel näher zu fragen, ob wir uns Steinbrück leisten oder meinetwegen auch erlauben können? Das Wort leisten hat Augstein in diesem Fall ja evtl. auch nicht verwendet, weil damit sogleich wieder der Bezug zu Steinbrücks Forderung nach einem höheren Kanzlergehalt hergestellt worden wäre und einige Leser (hier sehr wahrscheinlich auch die Beifalls-Süchtigen und karrieregeilen SPD-Abgeordneten, -Delegierten und -Funktionäre) den Zusammenhang dann rein pekuniär begriffen hätten.

Ok, der SPD, vom Seeheimer Kreis bis zu den SPD-Linken, scheint eh alles egal zu sein, sonst hätten sie Steinbrück in der entscheidenden Vorstandssitzung nicht einstimmig aufs Schild des Kanzlerkandidaten gehoben; oder Steinmeier nach seiner historischen Wahlniederlage 2009 zur Belohnung zum Fraktionsvorsitzenden gewählt; oder alle von rechts bis links für Hartz IV und die Teilprivatisierung der Rente wie deren Niveauabsenkung gestimmt, Gesetzgebungen, die viele, sehr viele Menschen dazu verdammen, zu Hungerlöhnen zu arbeiten, Sanktionen ausgesetzt zu sein, die die Existenz gefährden, und Altersarmut zu akzeptieren. Verdammt noch mal!

Und noch etwas wäre zu fragen: Wollen wir Kanzler werden und das Land regieren oder Steinbrück? Aha. Aber dann soll Steinbrück uns doch bitteschön erst einmal verstehen, es zumindest versuchen. Denn den Luxus können wir uns nun wirklich nicht leisten: Einen Kanzler, der die Menschen nicht versteht!

Das beste ist vielleicht, wenn Augstein und Steinbrück erst einmal beide auf die Couch gehen, vielleicht sogar gemeinsam. Und dann sehen wir mal weiter.

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