Entblödet euch! – Von Kathrin Hartmann
Dezember 13

Heute im Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung-Adventskalender die Journalistin und Buch-Autorin Kathrin Hartmann:

Neulich saß ich mit einem befreundeten Journalisten beim Mittagessen. Wir unterhielten uns wie so oft und ganz grundsätzlich über unseren Beruf. Die Arbeitsbedingungen, die miesen Honorare, die Aufmerksamkeitsökonomie, die Scheren, die einem in die Köpfe gerammt werden wollen, die Mainstream-Meinung und wie schwierig es ist, dagegen anzuschreiben, solche Sachen.

Mein Kollege, der trotz aller Widrigkeiten nicht zynisch geworden, sondern ein leidenschaftlicher investigativer Journalist geblieben ist, sagte dann: “Und wozu eigentlich das alles? Die Leute finden es ja auch noch super so, wie es ist, die wollen es ja nicht anders haben.”

Der NSA-Skandal? Wer nichts zu verbergen hat, hat doch nichts zu befürchten! Uli Hoeneß hinterzieht Millionen Steuern? Der arme Mann ist Opfer einer medialen Hetzjagd! Die Reichen werden immer reicher, die Armen ärmer? Neiddebatte! Sozialstaatsabbau? Die Sozialschmarotzer rauben die Leistungsträger aus! Katastrophale Klientelpolitik? Mutti Merkel ist die Beste! Steuererhöhung? Nicht mit der Mittelschicht! Mindestlöhne? Die Wirtschaft warnt! Bill Gates hat seinen Reichtum mit Ausbeutung im chinesischen Selbstmord-Sweatshop verdient? Hurra, verleihen wir ihm einen Bambi! Die Grünen fänden es gut, wenn öffentliche Kantinen an einem Mittag die Woche ein Gericht ohne zermatschte tote Tiere anbieten (“Veggie-Day”)? Verbotsstaat! Zwangsernährung! Zeter! Mordio!

Klar hab ich ein Menge Wünsche für eine besser Welt. Aber was nützen die, wenn immer zu viele mit allem einverstanden sind oder daran glauben, dass es gar nicht anders geht (TINA-Prinzip)? Was ich mir wirklich wünsche: dass wir wieder daran glauben, dass Änderungen und ein gutes Leben für alle möglich sind und denen widersprechen, die anderes behaupten. Dass wir uns nicht einlullen lassen von den Profiteuren und ihren PR-Zombies, sondern Strukturen und Machtverhältnisse hinterfragen. Das wir nicht mit allem einverstanden sind, sondern solidarisch gegen die Unverschämtheiten und Ungerechtigkeiten kämpfen. Oder kurz mit Kant: den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Ach ja, und noch ein paar Flügel, mit denen ich endlich fliegen kann.

Kathrin Hartmann trifft mit ihrem Beitrag wieder einmal ins Schwarze! Sie ist Autorin des Buchs “Wir müssen leider draußen bleiben. Die neue Armut in der Konsumgesellschaft”, das im Verlag Blessing erschienen ist. Eine Rezension des Buches finden Sie hier: Rezension: Wir müssen leider draußen bleiben – Die neue Armut in der Konsumgesellschaft. Bei Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung ist ihr Beitrag Am Stammtisch der Mittelschicht erschienen. Ihr eigener Internetauftritt heißt: Ende der Märchenstunde.

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