Heinrich Alt, Bundesagentur für Arbeit: Mit Starrsinn gegen “starre Betreuungszeiten in Kitas”

Heinrich Alt ist Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA). Der gestern von seinem Arbeitgeber veröffentlichte Bericht über Fachkräfte in der Kinderbetreuung und -erziehung veranlasste ihn zu folgender Aussage, die schnell den Weg in die Nachrichten fand. Indem Alt ein scheinbares Problem artikuliert, macht er auf das eigentliche gesellschaftliche Problem aufmerksam, das er und sein Arbeitgeber offensichtlich völlig aus den Augen verloren haben. Wie die Politik selbst, so scheint auch die BA-Spitze in ihrer eigenen Welt zu leben, nicht aber in der von Millionen ArbeitnehmerInnen. So ist es nur konsequent, wenn Alt die Anpassung der “starren” Kita-Betreuungszeiten an die heutige Lebens- und Arbeitswelt fordert, ohne die Lebens- und Arbeitswelt selbst zu hinterfragen.

“Die oft starren Betreuungszeiten in Kitas passen nicht zur heutigen Lebens- und Arbeitswelt. Wir brauchen mehr Absicherung der Betreuung in Randzeiten und an Wochenenden. Nur so können wir Arbeitskräftepotenziale insbesondere unter den Alleinerziehenden aktivieren´, appelliert Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der BA”, hieß es gestern in der entsprechenden Pressemitteilung der BA.

Prompt meldeten der Deutschlandfunk und andere Medien:

“Die Bundesagentur für Arbeit setzt sich für längere und flexiblere Öffnungszeiten der Kindertagesstätten ein. Vorstandsmitglied Alt sagte in Nürnberg, die oft starren Betreuungszeiten in Kitas passten nicht zur heutigen Lebens- und Arbeitswelt. Viele Menschen, besonders Alleinerziehende, könnten wegen der unzureichenden Betreuung ihrer Kinder nicht oder nicht im angestrebten Umfang arbeiten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden ist der Anteil der alleinerziehenden Eltern in den letzten 20 Jahren von 14 auf 20 Prozent gestiegen. Nur noch 70 Prozent der Familien lebten in klassischer Form als Ehepaare mit einem oder mehreren Kindern. 1996 hatte dieser Anteil noch bei 81 Prozent gelegen.”

Konsequenter kann man die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitswelt nun wirklich nicht auf den Punkt bringen, als es Alt und der Deutschlandfunk hier tun. Die Menschen müssen länger und flexibler arbeiten, in Randzeiten und an Wochenenden. Gleichzeitig wissen wir, dass sich die Löhne real, wenn überhaupt, nur marginal verbessert haben. Von Bezahlung aber ist in der Pressemitteilung der BA nichts zu lesen, schon gar nicht von besserer Bezahlung. Stattdessen aber von verkürzten Ausbildungszeiten, der die BA “eine vollumfängliche Förderung” zusichert. Genau: Lieber viele Menschen kürzer ausbilden; das verhindert und rechtfertigt dann auch eine “maßvolle Lohnentwicklung” in der Zukunft. Und wir erfahren ganz nebenbei in wessen Dienst die Kinderbetreuung eigentlich steht: sie soll dazu dienen, dass die Menschen “im angestrebten Umfang arbeiten” können. Was der angestrebte Umfang ist, bestimmen freilich kaum die Menschen selbst. Sie wurden durch die Gesetzgebungen und Verschlechterungen am Arbeitsmarkt schlichtweg dazu gezwungen “länger und flexibler” zu arbeiten.

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Der Zufall wollte es, dass ich mich just am Abend vor dieser Meldung mit einem Ehepaar eines 1950er Jahrgangs über dieses Thema unterhielt. Damals, so die beiden gänzlich unpolitischen Menschen, sei es noch normal gewesen, dass das Gehalt eines Elternteils ausreichte, um die Familie zu ernähren und am steigenden Wohlstand zu partizipieren. Ihre Kinder, erst recht ihre Enkelkinder müssten dagegen heute beide arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Diese beiden 1950er waren nun nicht dagegen, dass auch die Frau arbeiten geht, also keine Anhänger der “klassischen” Familienarbeitsteilung. Sie problematisierten nur, dass das Geld, obwohl heute beide Elternteile arbeiten gingen, kaum ausreichen würde. Von solch einer Problemstellung ist das Vorstandsmitglied Alt mindestens genauso fern wie es die 1950er/60er Jahre sind. Er nimmt die neue “Lebenswirklichkeit”, die bestimmt nicht die seine ist, als gegeben und will nun, dass sich gefälligst die “starren Betreuungszeiten in Kitas” daran anpassen.

Ich twitterte ihm daraufhin folgende Frage:

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Eine Antwort habe ich von ihm bis jetzt nicht erhalten. Denkt er noch darüber nach, hat er die Frage vielleicht gar nicht verstanden, oder ist er einfach noch nicht am Arbeitsplatz?

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