SPD windet sich – Teil 1: Gabriel sorgt sich um sechsstelliges Gehalt des Bundeskanzlers – warum nicht lieber um Hartz IV Regelsätze, Armutsrenten und Niedriglöhne?
Und was sagt die SPD dazu?

SPD-Chef Sigmar Gabriel ist endlich einmal wieder in den Medien. Er hat der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) ein Interview gegeben, das gleich aufgrund mehrerer Aussagen Zweifel an dessen Fähigkeit aufkommen lässt, die richtigen Prioritäten als Sozialdemokrat bzw. für die SPD zu setzen. Eine Aussage Gabriels hat es den Medien dabei besonders angetan.

Es ist seine Sorge, dass das Gehalt des Bundeskanzlers zu niedrig sei. Gabriel:

“Dass der deutsche Bundeskanzler weniger verdient als ein Direktor einer mittelgroßen Sparkasse, finde ich nicht angemessen.”

Von Welt online bis zur Financial Times Deutschland haben die Medien diesen Punkt aufgegriffen und daraus eine “Gehaltsdebatte” (Welt online) gemacht. Immerhin erfährt man dadurch, dass die Bundeskanzlerin monatlich vor Steuern 24.165,57 Euro verdient, ein Jahresgehalt von 289.986,84 Euro.

Warum aber bloß soll ein sechsstelliges Gehalt für das Amt des Bundeskanzlers “nicht angemessen” sein, wie Gabriel meint? Weil “ein Direktor einer mittelgroßen Sparkasse” mehr verdient? Ja, müsste man dann nicht zuerst das Gehalt des Sparkassendirektors hinterfragen? Und sollte sich ein Sozialdemokrat, der Vorsitzende noch dazu, nicht viel vorrangiger um die vielen Menschen mit Niedriglöhnen, mit Armutsrenten und Hartz IV sorgen?

Das ist wohl zu viel verlangt von einem, der genau für diese Misere mit verantwortlich zeichnet. Schließlich sind die gesetzlichen Weichen für den Niedriglohnsektor, Rentenarmut und Hartz IV in rot-grüner Regierungsverantwortung gestellt worden – und Gabriel war als damaliger Ministerpräsident von Niedersachsen und späterer Bundesumweltminister ganz vorn dabei.

Verwunderlich ist dann auch nicht, dass der Ausgangspunkt für sein Lamentieren über das Gehalt des Bundeskanzlers sein Genosse und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist. Gabriel:

“Aber mit der Annahme der Kanzlerkandidatur verdient Peer Steinbrück jetzt deutlich weniger.”

Da kommen einem nun wirklich die Tränen, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der erste Spendenaufruf für Peer Steinbrück auf spd.de erscheint. Über dessen Nebeneinkünfte schreibt Welt online:

“Der SPD-Kanzlerkandidat steht weiter im Feuer: Er hat nach Medienberichten in dieser Wahlperiode seit 2009 Nebeneinkünfte von rund zwei Millionen Euro erzielt. Zu den 1,25 Millionen Euro für seine Vorträge kämen noch Buchhonorare von mindestens einer halben Million Euro, schreiben das Magazin ´Focus´ und die ´Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung´ (FAS).”

Hinzu kommen monatlich 7.668 Euro “Entschädigung” für sein Bundestagsmandat, das ja seine Haupttätigkeit sein soll.

Bemerkenswert auch diese Aussage Gabriels im Interview mit der FAS:

Welt online: “Immerhin muss ein Abgeordneter nicht befürchten, im Alter ohne ausreichende Versorgung dazustehen.”

Sigmar Gabriel: “In der Regel muss er das nicht. Umso wichtiger ist es, sich darüber klar zu sein, dass viele Menschen in Deutschland nach einem langen Arbeitsleben keine ausreichende Versorgung haben.”

Gabriel selbst aber scheint sich eben genau nicht “darüber klar zu sein”. Sieht sein Rentenkonzept doch keine Rücknahme der unter rot-grün vorgenommenen Absenkung des Rentenniveaus vor. Damit wird er aber eines sicherlich nicht verhindern, obwohl er im selben Interview eben dies vorgibt:

“Und wir wollen verhindern, dass die Angehörigen derjenigen Berufe, in denen die meisten jenseits der 55 oder 60 gar nicht weiterbeschäftigt werden, eine Rentenkürzung hinnehmen müssen.”

Die Gründe dafür, warum die Bundestagsabgeordneten sorgenfrei das gesetzliche Rentensystem zerstören können, haben wir an anderer Stelle aufgezeigt.

Und selbst Gabriels Aussage für sich genommen ist losgelöst von dem Widerspruch zu seiner vorangegangenen Aussage nicht aufrichtig, denn den “normalen” Rentner oder auch den “Durchschnittsrentner”, erst recht nicht die vielen Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiographien – wofür nicht zuletzt die Arbeitsmarktreformen, für die wiederum Gabriel mit verantwortlich zeichnet, die Ursache bilden – klammert der SPD-Vorsitzende aus. Diese Menschen aber verzeichnen heute schon eine steigende Altersarmut, wie der WSI-Forscher Eric Seils auf Basis aktueller Daten des Statistischen Bundesamtes vor wenigen Wochen analysiert hat.

Noch einmal zurück zu Steinbrück. Auch hier ist Gabriel in dem Interview mit des FAS wenig überzeugend und glaubwürdig. Angesprochen auf “200.000 Euro Nebeneinkünfte”, die Steinbrück im Jahr erzielt haben soll, bzw. “1,2 Millionen Euro abzüglich der Steuern” über drei Jahre, antwortet Gabriel:

“Seien Sie versichert: Da gibt es ganz andere Kaliber im Bundestag! Schauen Sie mal, wie viele Anwälte da sitzen. Und ich wüsste gern, wer da so als Auftraggeber dahintersteckt, wenn wir das nächste Mal im Bundestag über ein Gesetz zur Pharmaindustrie, zu privaten Versicherungen oder zur Besteuerung von Finanzmärkten beraten.

Das interessiert auch die Bürger, die wollen wissen, für welche Leistung der von ihnen gewählte Abgeordnete Geld bekommt: für eine Dienstleistung, die der Wähler akzeptiert, oder dafür, dass er im Parlament gewisse Dinge tut oder unterlässt, die mit seinem freien Mandat nichts zu tun haben.”

Das aber könnte Gabriel SPD-Politikern ebenso ins Stammbuch schreiben. Wer hat denn die Praxisgebühr eingeführt und die Krankenversicherungsleistungen deutlich verschlechtert? Wer hat denn die Finanzmärkte dereguliert und die Rente zugunsten privater Versicherungen teilprivatisiert? Das ist alles unter der Regierungsführung der SPD entstanden. Wer wüsste nicht gern, “wer da so als Auftraggeber dahintersteckt” bzw. dahinter gesteckt hat!

Es ist diese Art, Politik zu machen, da bin ich fest von überzeugt, ebenso wie deren konkreten Ergebnisse, die unsere Demokratie nachhaltig unterminiert und gefährdet, weil sie unsere Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich spaltet und auch den Menschen, die noch in gut bezahlter Arbeit sind, immer mehr abverlangt, sie verängstigt und für individuelle wie gesellschaftliche Erschöpfungszustände verantwortlich zeichnet, und die bei vielen Menschen bereits heute für eine politische Ohnmachtshaltung und Rückzug ins Private gesorgt hat.

In einem Punkt freilich steht zu befürchten, dass Gabriel Recht behält:

Welt online: “Zurück zu Peer Steinbrück. Er ist in der SPD umstritten. Viele hätten lieber Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten gesehen.

Gabriel: “Wie kommen Sie denn darauf? Wir haben Peer Steinbrück im Parteivorstand einstimmig nominiert. Dass er von den Parteilinken gewählt würde, hat ihn allerdings wohl selbst überrascht. Und wir werden ein überwältigendes Votum auf dem Parteitag für ihn haben.”

Auch das ist in den obigen Kontext und in den Zusammenhang einer wachsenden Parteienverdrossenheit in der Bevölkerung wie auch sinkender Wahlbeteiligung zu stellen. Die SPD-Linke steht mit ihrer Vorstandsentscheidung und ihrem mangelnden Aufbegehren gegen diesen Politikstil und die durch diesen vorangetriebenen Inhalte und politischen Entscheidungen genauso mit in der Verantwortung wie der Parteivorsitzende und der Kanzlerkandidat.

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