Konjunktur/EWU: Die politische Dramatik hinter der vermeintlich nüchternen Konjunkturstatistik

Aufgrund der Meldungen zum Bruttoinlandsprodukt in Deutschland und in Europa ist eine Meldung fast untergegangen: Die Preisentwicklung in der Europäischen Währungsunion (EWU) zeigt weiter nach unten. Mit einer jährlichen Inflationsrate von 0,4 Prozent zeitigt sie den niedrigsten Stand seit Oktober 2009. In den deutschen Medien war dies kein Thema. Wäre die Inflation so weit vom Inflationsziel nach oben abgwichen, wäre der Aufschrei dagegen wohl unüberhörbar gewesen. Drei Krisenländer sind bereits in der Deflation, andere wie die EWU insgesamt nicht weit davon entfernt. In diesem Kontext muss auch das ebenfalls heute gemeldete schwache Wirtschaftswachstum Sorge bereiten. Das schlimmste Signal aber setzen beide Entwicklungen für das größte zu bekämpfende Problem.

Das ist die Massenarbeitslosigkeit. Das Wachstum ist weit davon entfernt, die dringend notwendige Absenkung der Arbeitslosenquote zu befördern. Hierfür müsste das Wirtschaftswachstum in der EWU nach unseren Berechnungen zum Produktionspotenzial jährlich real rund drei Prozent betragen. Damit ließe sich die Arbeitslosigkeit in der EWU Jahr für Jahr um zwei Prozentpunkte senken. Dass das jährliche Wirtschaftswachstum erneut unter einem Prozent liegt, lässt eher wieder einen Anstieg der Arbeitslosigkeit erwarten.

Schon in der Deflation oder kurz davor (zur Vergrößerung auf Graphik klicken).

Die am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffenen Länder – Griechenland und Spanien – stecken zudem in einer Deflation, wie das europäische Amt für Statistik meldete. Wir haben dies für Griechenland bereits gestern problematisiert (siehe hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement). Italien steht mit einer Preissteigerung von Null Prozent statistisch unmittelbar vor einer Deflation. Wie wir aber bereits am Beispiel Frankreich aufgezeigt haben, können sich die Merkmale einer Deflation bereits weit früher einstellen und ihre verheerende Wirkung für Wachstum und Beschäftigung entfalten (siehe dazu hier, vollständiger Beitrag nur im Abonnement; siehe zur Deflation auch den erst gestern erschienenen Artikel).

Dass mit der drittgrößten Volkswirtschaft der EWU, Italien, ein weiteres ökonomisches Schwergewicht in der Rezession steckt und Frankreich ein Nullwachstum verzeichnet (0,1% gegenüber Vorjahreswert) sind weitere alarmierende Zeichen.

Wir warnen seit Ausbruch der Eurokrise, die nunmehr das fünfte Jahr zeitigt, vor exakt dieser Entwicklung: Schwaches Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, kontraproduktive, weil auf Ausgabensenkungen und Lohnkürzungen setzende Wirtschaftspolitik, Deflation, weiter sinkendes Wirtschaftswachstum, weiter steigende Arbeitslosigkeit. Eine Änderung der Wirtschaftspolitik ist dennoch nicht absehbar. Weiterhin wird auf staatliche Ausgabensenkungen und Lohnkürzungen gesetzt und einseitig auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt bzw. sogar Haushaltsüberschüsse und sinkende Staatsschuldenquoten geschielt. Die weiterhin historisch hohe Arbeitslosigkeit hat dagegen außer einigen Lippenbekenntnissen keine wirklich Änderung versprechenden politischen Schritte nach sich gezogen. Auch nicht nach den verheerenden Ergebnissen der Europawahlen, die in einem klaren Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit und der mit ihr verbundenen materiellen Not und Perspektivlosigkeit stehen. Die Erfolge extremer und populistischer Parteien und die insgesamt niedrige Wahlbeteiligung sprechen hier eine deutliche Sprache, genauso wie die Umfrageergebnisse, die beispielsweise in Frankreich ergaben, dass zu großen Teilen Arbeitslose die Front National gewählt haben. Hierin liegt die politische Dramatik der vermeintlich nüchternen Statistik über die Entwicklung der Wirtschaftsleistung und der Preise.

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