Journalismus: Finkenzeller und Fleischhauer zeigen beispielhaft, wie katastrophal es um den Wirtschaftsjournalismus in Deutschland bestellt ist

Sie ist preisgekrönte Wirtschaftsjournalistin, er soll laut wikipedia tatsächlich für den “Spiegel” gelegentlich das Wirtschaftsressort stellvertretend leiten. Sie schreibt für “Die Zeit” über Frankreich, er für den “Spiegel”. Karin Finkenzeller und Jan Fleischhauer zeigen dabei beispielhaft, wie katastrophal es um den Wirtschaftsjournalismus in Deutschland bestellt ist.

Karin Finkenzeller weiß: “Auch Frankreich kann seine Staatsschulden nur reduzieren, wenn Präsident und Regierung weniger ausgeben.” Damit aber blendet Finkenzeller vollständig aus, dass die Reduzierung der Staatsschulden das Ergebnis von Ausgaben und Einnahmen ist, und die Gefahr groß ist, dass staatliche Ausgabensenkungen – zumal in der wirtschaftlichen Schwächephase, in der Frankreich sich befindet – die Konjunktur belasten und damit auch die Einnahmebasis des Staates weiter schwächen. Eine Entwicklung, die zum Ergebnis haben kann, dass gerade weil der Staat weniger ausgibt, die Staatsschulden weiter steigen.

Die Graphik unten zeigt: 2012 ist die Zuwachsrate der nominalen Staatsausgaben (gelbe Linie) gestiegen, von 2,1 Prozent auf 3 Prozent. Dennoch ist die Zuwachsrate der Staatsschulden (rote Linie) im selben Jahr gesunken, von 7,7 Prozent auf 6,7 Prozent. Die Zuwachsrate der Staatseinnahmen (grüne Linie) lag nämlich – obwohl sicherlich durch das rückläufige Wirtschaftswachstum negativ beeinflusst – über der Zuwachsrate der Staatsausgaben. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist der Schuldenstand aber gestiegen (Schuldenstandsquote). Das ist das im Rahmen der Maastricht-Kriterien für die Hüter der Europäischen Währungsunion entscheidende Maß. Die Schuldenstandsquote ist gestiegen, weil die Schulden stärker gestiegen sind als die Wirtschaftsleistung (blaue Linie).

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Wie kann man angesichts der skizzierten Zusammenhänge und der offiziellen, jedem Menschen, zumal jedem Wirtschaftsjournalisten zugänglichen Wirtschaftsdaten nur meinen, die Reduzierung der Staatsschulden in einen einseitigen Zusammenhang mit der Reduzierung der Staatsausgaben stellen zu können? Auch der parallele Verlauf der Zuwachsraten der Wirtschaftsleistung (blaue Linie) und der Staatseinnahmen (grüne Linie) zum Ausbruch der Finanz- und Eurokrise 2009 und danach müsste doch jeden an der Sache interessierten Wirtschaftsjournalisten und -politiker dazu veranlassen, die möglichen Auswirkungen sinkender Staatsausgaben auf die Wirtschaftsleistung und in Folge auf die Staatseinnahmen und schließlich auf die Staatsschulden zu bedenken. Der deutsche Wirtschaftsjournalismus aber meint ungeachtet der katastrophalen Ergebnisse, die die Ideologie, über sinkende Staatsausgaben die Schuldenlast zu senken, in Europa erzielt, einfach weiter an dem einmal etablierten Dogma festhalten zu dürfen. Der sich selbst gern als “vierte Gewalt” beweihräuchernde Journalismus fungiert hier nur noch als Gebetsmühle.

Noch primitiver vollbringt dies der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer in seiner Kolumne “Schwarzer Kanal”. Unter der Überschrift “Die Deutschen sind vielleicht naiv, blöd sind sie nicht” entblödet sich Fleischhauer: “Es gibt verschiedene Formen der Enteignung, die über die Vergemeinschaftung von Schulden ist im Verkehr von Staaten die einfachste und leider auch gründlichste. Mit Moscovici soll jetzt ein Mann die Südländer zu mehr Disziplin anhalten, der in seiner Zeit als Finanzminister nicht in der Lage war, auch nur einen Haushalt aufzustellen, der die Brüsseler Kriterien erfüllte.”

Fleischhauer hat sich wohl nie die Frage gestellt, wie auch nur irgendein Finanzminister die Brüsseler Kriterien – staatliche Schuldenstandsquote von nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung; staatliches Haushaltsdefizit von nicht mehr drei Prozent der Wirtschaftsleistung – in einer ausgemachten und anhaltenden Wirtschaftskrise erfüllen kann. Wie für Finkenzeller sind für Fleischhauer Staatsschulden so sehr das Maß aller Dinge, dass er meint, sie im luftleeren Raum be- und verurteilen zu können. Ein interessierter Journalist hätte dagegen umgekehrt die nicht nur in Frankreich, sondern in vielen Ländern der Europäischen Währungsunion vorherrschende wirtschaftliche Ausgangslage zum Anlass genommen, die Brüsseler Kriterien zu hinterfragen. Fleischhauer wird sich mit Sicherheit noch nie Gedanken darüber gemacht haben, dass zur Einhaltung der Brüsseler Kriterien ein nominales Wirtschaftswachstum von fünf Prozent zwingend ist. Hätte er dies, hätte er wohl ganz automatisch nicht das versäumt, was auch Finkenzeller versäumt hat: Die Entwicklung des Staatshaushalts in Beziehung zur Entwicklung der Wirtschaftsleistung zu setzen. Kräftig gestiegen ist die Schuldenstandsquote nämlich erst mit Ausbruch der Finanz- und Eurokrise 2009 und der aktuell schwachen Wirtschaftsleistung.

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Aber wieviel einfacher ist es, statt sich solcher Zusammenhänge zu versichern, Frankreich ein weiteres Mal als “Schuldenkönig” an den Pranger zu stellen, der seine “Wohlfahrtspolitik” “auf Kosten des deutschen Nachbarn” fortsetzt, wie Fleischhauer schreibt. Hätte sich der angeblich stellvertretende Leiter des Wirtschaftsressorts beim Spiegel doch einmal darüber informiert, wer hier auf wessen Kosten lebt. Hierzu hätte sich der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph nur einmal erklären lassen müssen, was es mit dem Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands gegenüber Frankreich und der diesem entsprechenden Entwicklung der Gesamtverschuldung Frankreichs auf sich hat. Aber das setzt natürlich ein gewisses Erkenntnisinteresse voraus, das Fleischhauers Kolumne wohl nur im Wege stehen würde.

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