Aktuelle Nachrichten und Hintergrund: Oppermann / SPD / Haushaltspolitik – Zurück in die Zukunft

Und täglich grüßt der Oppermann, ist man fast geneigt zu schreiben. Nun, so schlimm ist es zum Glück nicht – aber schlimm genug ist es schon. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion hat heute früh dem Deutschlandfunk ein Interview gegeben. Die zentrale Aussage darin betrifft die Haushaltspolitik – der Rest ist parteipolitisches Beiwerk, das wir am Wochenende bereits in zwei Teilen bewertet haben. Oppermann:

“Und wenn es in solchen Jahren nicht einmal gelingt, den Haushalt echt auszugleichen und nicht nur strukturell, wie es die Koalition sagt, nicht nur die Erfordernisse der Schuldenbremse zu erfüllen, sondern wirklich einen ausgeglichenen Haushalt, das heißt, es werden keine Ausgaben mehr mit zusätzlichen Krediten finanziert, das muss eigentlich das Ziel sein.“

Daraus lässt sich nur ein weiteres Mal schließen, dass die SPD in Regierungsverantwortung so weiter machen wird, wie seit Schröder und dann weiter in der großen Koalition unter Merkel. Wie unsinnig dieser einseitige Blick auf einen ausgeglichenen Staatshaushalt ist und wie weit er zurückreicht und bestimmend war für die Politik der SPD zeigt der Ökonom Claus Köhler bereits 2004 in seinen “Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik” auf; es ist davon auszugehen, dass keiner der Politiker, die an der SPD-Spitze stehen, dieses inhaltsreiche und dennoch schmale Büchlein gelesen und erst recht nicht darüber nachgedacht hat. Claus Köhler zitiert zunächst den SPD-Bundesfinanzminister Hans Eichel aus dem Jahr 2001:

“Dem Stabilitätsgesetz lag zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung eine wirtschaftspolitische Philosophie zugrunde, die den heutigen Herausforderungen nicht mehr genügt…Für ausgabenwirksame Konjunkturprogramme ist weder heute noch in den kommenden Jahren finanzieller Spielraum vorhanden.”

Die anschließende Interpretation dieser Sätze Hans Eichels durch Claus Köhler könnte sich genausogut auch auf die oben zitierten Sätze Oppermanns beziehen. Claus Köhler:

“Wer in klassischen Kategorien denkt, also konjunkturglättende Maßnahmen ablehnt, sieht es nur als seine Aufgabe an, den Haushalt auszugleichen, was man Haushaltskonsolidierung nennt…

Es ist schwer verständlich, ja erscheint unverantwortlich, wenn ein Staat angesichts sich verschlechternder wirtschaftlicher Lage Konjunkturprogramme ablehnt. Ein Haushalt, dessen öffentliche Ausgaben gemessen am nominalen BIP ungefähr 50% und dessen Steuereinnahmen und Abgabenerlöse annäherend 40% betragen, hat immer Möglichkeiten, konjunkturglättend einzugreifen…Eine konjunkturelle Belebung als Folge staatlicher Eingriffe lässt, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, die Steuereinnahmen steigen. Infolge der Steuerprogression sind diese Einnahmen höher als die ursprünglichen Ausgaben. Haushaltskonsolidierung durch zusätzliche, konjunkturfördernde öffentliche Ausgaben ist ein realistisches Konzept. Das Sparkonzept der Bundesregierung führt dagegen zu höherer Arbeitslosigkeit, gedämpfter Einkommensentwicklung und damit zu Steuerausfällen.”

Nun könnte man meinen: Ja, aber wir hatten doch nun einen Aufschwung, einige sprechen gar von einem Wirtschaftsboom. Auch dazu hat Claus Köhler ebenda Kluges geschrieben:

“Diskussionen, ob eine Wirtschaft sich in einem Aufschwung, einer Dämpfungsphase, einer Rezession oder Krise befindet, sind im Hinblick auf das Beschäftigungsproblem irrelevant. Relevant ist allein, ob das Wirtschaftswachstum angemessen ist oder nicht…Man hat davon auszugehen, dass ein hohes Beschäftigungsniveau bei einer Arbeitslosenquote von 3% erreicht ist.”

Selbst die offizielle Arbeitslosenquote liegt aber deutlich darüber. Sie betrug im Oktober mit 6,5 Prozent mehr als das Doppelte. In der offiziellen Arbeitslosenstatistik sind darüber hinaus Menschen, die älter sind als 58 und Arbeitslosengeld und Hartz IV beziehen, nicht berücksichtigt. Das waren im Oktober immerhin 201.335 Betroffene; unter anderem werden auch Menschen, die in beruflicher Weiterbildung sind, die Beschäftigungszuschüsse erhalten oder in einer Förderung von Arbeitsverhältnissen stecken, nicht mitgezählt. Waren so im Oktober offiziell 2,8 Millionen Menschen arbeitslos (6,5%), so lag die ebenfalls von der Bundesagentur für Arbeit gemessene Unterbeschäftigung, in der die in der gängigen Arbeitslosenstatistik herausfallenenden Menschen, die sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden, berücksichtigt werden, ohne Kurzarbeit bei 3,7 Millionen Menschern (8,6%)

Hier könnte die SPD wie jede andere Partei die Bundesregierung angreifen und Alternativen aufzeigen (vgl. dazu auch: Adieu Vollbeschäftigung). Dafür müsste sich die SPD freilich aus dem engen Käfig befreien, in dem auch die Bundesregierung sitzt, und der viel beschworenen Haushaltskonsolidierung ein Beschäftigungsziel entgegenhalten.

Oppermann zeigt mit seinen oben zitierten Aussagen erneut, dass die SPD derzeit dazu nicht in der Lage ist. Wer so denkt wie Oppermann, muss unweigerlich auch zu der Auffassung gelangen, dass “wir nicht genügend Geld für Kitaplätze haben.” Aber natürlich haben “wir”, hat der Staat, hat die Gesellschaft – das gilt losgelöst von der Frage des Betreuungsgeldes – genügend Geld für Kitaplätze. Eine Ausgabenoffensive – auch finanziert über neue Schulden oder alternativ über eine höhere Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Spitzeneinkommen – würde die Schaffung vieler Arbeitsplätze nach sich ziehen, mittelständische Betriebe würden endlich wieder Aufträge von den Kommunen erhalten; das würde auch entsprechende Steuermehreinnahmen und aufgrund der höheren Beschäftigung auch weniger Ausgaben für Arbeitslosigkeit nach sich ziehen. Gut angelegtes Geld! Schade, dass die SPD dieser Logik bis heute nicht in der Lage ist zu folgen und stattdessen immer wieder an längst gescheiterte Konzepte aus der Agenda-Zeit anknüpft. Das gilt um so mehr im Kontext der Eurokrise, die, ebenfalls unter der Doktrin der Haushaltskonsolidierung über Ausgabenkürzugen, in vielen Länder bereits Massenarbeitslosigkeit in bis vor kurzem noch unvorstellbaren Ausmaßen nach sich gezogen hat, und die auch Deutschland immer stärker zu spüren bekommt.

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