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Post von Jürgen Kuttner zu zehn Jahren Agenda 2010

Gestern hatte ich angesichts der Feiern, die all überall anlässlich der sich zum zehnten Mal jährenden Regierungserklärung Gerhard Schröders von den Etablierten in Medien, Politik und Wirtschaft begangen wurden, Jürgen Kuttner angeschrieben, ob er mir nicht bitte einen “Text-Schnipsel” zu eben diesem Anlass für Wirtschaft und Gesellschaft senden könnte. Und da sieht man einmal, dass man die Agenda 2010 und den Zustand der SPD auch mit wenigen Worten diagnostizieren kann.

Jürgen Kuttner ist – darüber kann es nach meinem ausführlichen Interview mit ihm gar keinen Zweifel geben – ein profunder Kenner der sozialdemokratischen Geschichte. Wenn er nicht viel lieber Theater machen, schauspielen und reden würde, könnte er sicherlich aus dem Stehgreif ein Buch über die Sozialdemokratie schreiben. Aber das wäre eben aufgrund des heutigen Zustands der Partei ebenso sicher vergebliche Müh. Außerdem: Hat Sebastian Haffner in “Die verratene Revolution” (heute unter dem Titel Die deutsche Revolution erhältlich) nicht bereits alles verraten (hier im Sinne von erklärt!)?

Wenn es noch eines Beweises für die vergebliche Müh bedurft hätte, so hat ihn gestern der “Managerkreis” der Friedrich-Ebert Stiftung (FES) erbracht. Lauter satte Anzugträger und dekadentes Bürgertum, das schon lange, sehr lange kein Bildungsbürgertum mehr ist. Vor dem Haus der FES ein kleines Häufchen Jusos, vielleicht fünf oder sechs Personen, die mit Sekt und “Happy Birthday”-Geburtstagshäubchen auf dem Kopf gegen die Agenda 2010 “demonstrierten”. Wo denn Sascha Vogt, der Juso-Vorsitzende, sei, fragte ich einen von ihnen. “Der ist in Gedanken bei uns”, antworte dieser. Na, wozu brauchen wir bei solch einem Juso-Vorsitzenden noch einen Papst!

Und da saßen sie dann alle in der erste Reihe und auf dem “Panel”: Gerhard Schröder, seine Frisur hat mich irgendwie an die Guttenbergs erinnert, Bert Rürup, Rentenprivatisierer im wissenschaftlichen Gewand, Gabor Steingart vom Handelsblatt, stellvertretend für den Niedergang des deutschen Journalismus, Ludwig Georg Braun, ehemaliger Präsident des DIHK, und, gewagt (!), ein wachsweicher Vertreter (auch Versicherungen haben bekanntlich Vertreter) des DGB war auch geladen, Dietmar Hexel, Frank-Walter Steinmeier durfte natürlich auch nicht fehlen, der 23%-Kanzlerkandidat der SPD 2009 und Mit-Autor der Agenda 2010…Es wird nicht besser! Kein Agenda-Kritiker auf dem Podium. Und so wurde mächtig dilettiert, so dolle, dass ich nach vielleicht einer Stunde aufgebrochen bin; schnell zurück zu meiner vierbeinigen Kollegin Hilka und kurz bei Lidl das Gespräch mit einer Verkäuferin gesucht, um wieder in der Realität anzukommen.

Und so ist es vielleicht wirklich so, wie ich schon häufiger an dieser Stelle orakelt habe: Vielleicht kann uns wirklich nur noch die Kultur retten vor diesen wahren Demokratiezerstörern. In diesem Sinne hier der “Text-Schnipsel” von Jürgen Kuttner, der derzeit in Hannover probt und dessen E-Mail zwar um Punkt 00:00 Uhr den Eingang in meinen Postkorb fand, von mir aber gerade erst geöffnet wurde:

Probe grade in Hannover, wenn´s hilft und noch rechtzeitig ist, dann ein völlig unvermutetes Zitat aus ´berufenenem´ Munde, vom Sozialrichter Jürgen Borchert:

´Lenin hatte wohl recht mit seiner Bemerkung, dass man seine Klassse nicht verlassen, sondern nur verraten könne.´

Klingt jedenfalls reeller, als wenn Steinbrück Marx zitiert!

Danke Jürgen Kuttner! Es ist nie zu spät.

Wirtschaft und Gesellschaft hat jetzt auch eine und freut sich über jedes “Gefällt mir”.


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