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Deutschland und die Eurozone brauchen ein Beschäftigungsziel – Teil 1

Mit Ausbruch der Eurokrise ist die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern in die Höhe geschnellt. Besonders evident ist dies in Ländern wie Griechenland, Portugal und Spanien. Verdrängt wird demgegenüber gern, dass auch Deutschland, gemessen an einer als Vollbeschäftigung geltenden Arbeitslosenquote von 3 Prozent, eine sehr hohe Arbeitslosigkeit ausweist, sie beträgt aktuell bereits mehr als das Doppelte und wird voraussichtlich im nächsten Jahr weiter steigen (Oktober 2012: 6,5%). Die Erwerbslosenquote (Anteil der Erwerbslosen an allen Erwerbspersonen [Summe aus Erwerbstätigen und Erwerbslosen]), die wir im folgenden auch aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit heranziehen, liegt etwas niedriger (September 2012: 5,1%) (Zur genaueren Definition von Erwerbslosen, Erwerbstätigen und der Erwerbslosenquote, siehe hier: Erwerbslosigkeit; zur Arbeitslosenquote siehe hier: Arbeitslosenquote). Wir verwenden im Text den geläufigeren Begriff der Arbeitslosigkeit, legen aber die international gebräuchliche Erwerbslosenstatistik zugrunde, wie sie auch das europäische Amt für Statistik, Eurostat, ausweist.

Vor dem Hintergrund einer sehr hohen und weiter steigenden Arbeitslosigkeit ist es mehr als bedenklich, dass weder die deutsche Bundesregierung noch die Opposition wie auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament ein Beschäftigungsziel diskutieren (1). Statt Millionen Menschen mit einem Beschäftigungsziel – die Arbeitslosigkeit in einem bestimmten Zeitraum auf 3 Prozent zu senken und dafür entsprechende Voraussetzungen zu schaffen – eine Perspektive aufzuzeigen, zeigen die Parteien vor allem auf, was nicht geht; dafür steht das Ziel eines ausgeglichenen und schuldenfreien Staatshaushalts. Dieses Ziel aber ist für sich genommen ein kontraproduktives: Nicht nur versperrt es den Blick auf das zentrale, weil die Existenz der Menschen unmittelbar betreffende Problem der Massenarbeitslosigkeit; die mit dem Ziel schuldenfreier öffentlicher Haushalte verbundenen Ausgabenkürzungen tragen selbst mit zum Anstieg der Arbeitslosigkeit bei bzw. verhindern Vollbeschäftigung, weil sie ein geringeres Wirtschaftswachstum nach sich ziehen; letzteres sorgt nicht zuletzt häufig dafür, dass die gesetzten Haushaltsziele aufgrund der bei schwachem oder sogar negativem Wirtschaftschaftswachstum sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Ausgaben für Arbeitslosigkeit am Ende doch verfehlt werden.

Arbeitslosigkeit in der Eurozone und in Deutschland und Beschäftigungsziel (3%), 1999 bis 2013 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Gemessen am Beschäftigungsziel haben weder Deutschland noch die Eurozone zurückblickend auf den Zeitraum seit Bestehen des Euros je Vollbeschäftigung erreicht. Wären ein Beschäftigungsziel gesetzt und entsprechende Maßnahmen beschlossen und umgesetzt worden, um dieses Ziel zu erreichen, hätte sich die Arbeitslosigkeit in der Eurozone und in Deutschland stetig auf das Vollbeschäftigungsziel von 3 Prozent zubewegen müssen.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür wäre ein angemessenes Wirtschaftswachstum gewesen, wie ein Blick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zeigt.

Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der Arbeitslosigkeit in der Eurozone und in Deutschland (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.)

Die Graphik zeigt, dass das Wirtschaftswachstum lediglich in vier Jahren (2000; 2001, 2006, 2007) ausgereicht hat, um die Arbeitslosigkeit in der Eurozone zu senken. Interessant dabei: Zuletzt, 2007, war hierfür ein nominales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 5 Prozent notwendig. Dieses Wachstum ist auch zwingend notwendig, um die im Zentrum der deutschen und europäischen Politik stehenden Defizit- (3 %) und Schuldenstandskriterien (60%) zu erreichen. Liegt das nominale Wirtschaftswachstum unter fünf Prozent sind auch die anderen beiden Ziele nicht zu erfüllen (siehe hierzu: Warum Haushaltsdisziplin nicht funktionieren kann).

Was eine angemessene Wachstumsrate in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit in einigen Krisenländern und generell ansteigender Arbeitslosigkeit in der Eurozone und in Deutschland ist, wäre noch zu diskutieren, wie auch die Voraussetzungen für ein angemessenes Wirtschaftswachstum und die damit verbundenen Möglichkeiten, Vollbeschäftigung zu erreichen bzw. überhaupt die Arbeitslosigkeit zu senken. Weil die Wachstumsskepsis trotz Massenarbeitslosigkeit in der Bevölkerung groß ist (nicht unbedingt bei den Menschen, die von Arbeitslosigkeit oder Niedriglohnjobs und materieller Armut betroffen sind), werden auch noch Wachstumsfelder aufgezeigt werden, die im Einklang auch mit ökologischen Zielsetzungen stehen. Beides wird in weiteren Teilen erfolgen.

(1) Die naheliegende Idee, ein Beschäftigungsziel zu setzen und die dafür notwendigen Bedingungen zu prüfen, findet sich in: Claus Köhler, Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik, Berlin 2004. Die hier ausgeführten Zusammenhänge wie auch die in den folgenden Teilen, basieren auf den darin ausgeführten Überlegungen.

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