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Maurenbrechers Glosse: Am Rande vom Markt

Schiffshupen schallen rüber vom Kieler Hafen, mein Gepäck liegt abfahrbereit, jetzt noch ein gutes Hotelfrühstück, dann ab zum Bahnhof, nach Hamburg. Dort, im “Politbüro”, wird heute die letzte Vorstellung sein. Unser Jahresrückblick, den wir zu fünft seit 6 Wochen spielen, geht seinem Ende entgegen, mit jedem Tag, den das neue Jahr älter wird, macht er sich überflüssiger. Oder man müsste die Szenen andauernd sanft aktualisieren, dann könnte man auch die folgenden Monate damit verbringen. Das Jahr verspielen.

Gut genug besucht dazu ist das Programm, und gut genug uns verstehen und miteinander umgehen bisher tun wir auch. Das Jahr in einer mobilen Produktion auf der Bühne verspielen – eine Lebens- und Ausdrucksform, die mir grad ausgesprochen verlockend erscheint. Und wenn es sich, so wie bei uns, um ein tagespolitisch orientiertes Programm handelt, würde schon der nächste Auftritt in der nächsten Stadt dazu zwingen, Augen und Ohren weit aufzumachen, Themen einzuarbeiten, Lokales und Zentrales, Meinungen zu finden und zu prüfen, Scherze, uns immer wieder neue Figuren, Pointen und Zusammenhänge neu zu bilden. Die Zuschauer sind dabei die Lektoren, Dramaturgen, Korrektoren – und sicher mit ihrer Nichtreaktion oder ihrem Unmut auch oft die Zensoren. Denn was so gar nicht gefällt, das lässt man als Bühnenkünstler nach einer Weile klammheimlich weg. Oder ändert daran herum – bis der Inhalt, den man rüberbringen will, entgegengenommen wird.

Sind der Forscher, der Philosoph, die Filmemacherin, die über Jahre abgeschottet schreibende Autorin – sind diese eher isoliert und einem nichtöffentlichen Projekt gewidmeten Figuren eigentlich unbestechlicher? Nicht so dem Publikumsgeschmack zugewandt und von ihm abhängig wie ein Bühnenmensch? Ich frage mich das oft.

Die Stunde der starken Genies, die gegen die Zeit anrannten, scheint vorbei zu sein. Knut Hamsun, der sich zum Befürworter Hitlers verirrte, Peter Handke, der seine Nähe zu Milosevic nicht marktkonform verschwieg, Sam Peckingpah, immer überkreuz mit seinen Geldgebern aus Hollywood, Sinead O‘Connor, die im bigotten US-Fernsehen das Bild des Papstes zerriss und dafür ohrenbetäubendes Buh kassierte.

Wer sich heute in Medien bewegt, ist zwangsweise umgeben von anwaltlicher Beratung und werbewirksamer Optimierung. Kinski verstarb früh genug. Der Kabarettist Georg Schramm hat seine Mitgastgeberschaft bei der TV-Sendung “In der Anstalt” aufgekündigt, weil er die Mittelmäßigkeit nicht ertrug. Die zwangsweise zustande kommt, wenn keiner zahlenden Zuschauergruppe mehr wirklich weh getan werden darf. Wenn immer Einerseits – Andererseits gelten und Bräsigkeit Pflicht ist. Und Berater sich ihre Tätigkeit dadurch absichern, dass sie Unwägsamkeiten erfinden, in die ein Projekt gerät, wenn man nicht auf sie hören sollte.

In diesen Tagen wird die Autobiografie einer Sängerin fertig, an der ich mitgearbeitet habe. Nach vielen Wirren und Eingriffen in das Manuskript nahm sich ganz am Ende noch eine Anwältin des Verlags die geschriebenen Seiten vor. Viel zu spät, wie sich herausstellte, denn nach ihrer Sicht war eine Menge Arbeit an Formulierungen umsonst getan, die nach geltender deutscher Rechtssprechung unhaltbar sind. Wenn man keinen Beweis dafür hat, dass Dieter Bohlen an einem bestimmten Tag in einem exakt benannten Konzert nicht selbst gesungen hat (sondern ein Playback laufen ließ), darf man es nicht behaupten. Wenn ein Haus in einer Berliner Seitenstraße, in dem ein namenloser Mann seine hochschwangere Frau vor über dreißig Jahren misshandelte, durch eine im Text benannte Eigenheit genau identifizierbar ist und man zusätzlich noch die Information erhält, wo der Mann und die Frau sich dort aufhielten (z.B. mit dem Satz “Wir wohnten damals vorn, zweiter Stock. Direkt unter uns…”) -, dann darf diese Stelle nicht so bleiben. Mann oder Frau von damals oder auch Angehörige könnten sich herabgesetzt fühlen. Sie könnten erreichen, dass der Text vom Markt genommen wird.

Nun lassen sich solche Kleinigkeiten natürlich schnell ändern. Am ehesten mit Ironie: Dieter Bohlen hat an jenem Abend so fabelhaft gesungen, dass man fast glaubte, ein perfektes Playback klänge auf.

Aber keiner soll mir weismachen, dass solche Art von Seitenhieb, von ständigem sich erwehren, die eigenen Eindrücke und Beobachtungen relativieren, verkleinern oder (aus Trotz) übersteigern, dass diese aufgezwungene Geducktheit die Erfindenden, Schreiber, Denker, Spieler, nicht schädigt. Manche retten sich da raus, indem sie sich einreden, der Kampf mit Beratern, Juristen, Imagisten usw., dieses Hauen und Stechen gegen eine unsichtbare Wand von sogenannten Sachzwängen würde sie doch nur gewitzter machen. Glossenschreiber in Tageszeitungen sind gerne so gewitzt.

Ich vermute, die nächste Stunde der starken Genies steht bevor. Als Gegenbewegung – der nächste Kinski wird kommen, vielleicht als Genforscher diesmal. Und die gleichen Berater, die heute ihre Winkelzüge netzartig dem Kulturbetrieb überhelfen, werden vor Bewunderung dahinfließen. Während ich wahrscheinlich nur etwas Ekel empfinden werden kann.

Am besten ist es wirklich, man gestaltet am Rande vom Markt sein eigenes Zeugs. Wie angenehm, wenn man nicht allein damit sein muss. Von Ort zu Ort, flüchtig, leicht, nachhaltig.

Eigentlich ein schöner Traum.

Manfred Maurenbrecher ist Autor und Liedermacher. Er ist im Internet unter zu finden. können auch seine CDs direkt bestellt werden. Karten für die Vorstellung seiner neuen CD im Mehringhof-Theater vom 30.01. bis 02.02. können unter 030-6915099 bestellt werden. Infos unter: www.mehringhoftheater.de.

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